Antisemitismus und Ursprünge

Sartre meint: "Existierte der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden."

Als gelungene Polemik gegen antisemitische Wahngebilde zu empfehlen geht es mir durch, aber ich fürchte, dass es historisch nicht stimmt:

1. Es "erfanden" die Antisemiten "den Juden" bereits in dem Augenblick, als sie ihm erstmals  kollektive Charaktereigenschaften zudachten, die "den Juden" vom Nichtjuden unterscheiden würden.
Spätestens also war "böse Jude erfunden", als sich das etablierende Christentum mit römischer Besatzermacht verband. 
Aber viel wahrscheinlicher schon früher, etwa in Ägypten und den immer wieder aufflammenden unfriedlichen Zeiten.

Zunächst also war die Judenfeindlichkeit wie jede andere Völkerfeindlichkeit kaum anderes als die Leugnung des Menschen im Fremden und Missachtung dessen der Gleichwertigkeit, oft genug war die Judenfeindlichkeit des Altertums Teil "moralischen Kriegsertüchtigung", sei es zur Aggression oder zur Verteidigung gegen die Juden, denn noch nie leisteten sich die Kriegsherren den vermeintlichen Luxus, auf die Hetze gegen Feind zu verzichten und darin zu übertreiben. Für Gott und Vaterland, gegen die vermeintliche Unrechtmäßigkeit und das Böse schlechthin.  Seit mehr als 10.000 Jahren und in allen Sprachen der Völker und Geschichte.

Die Judenfeindlichkeit war somit eine allgemeine Erscheinung unfriedlicher Zeiten und immer auch verstoben in sicherlich langen Zeiten des Friedens, in dem das Nebeneinander und Miteinander der Völker funktionierte, war doch der kulturelle Austausch längst nicht nur Resultat gegenseitiger Besatzung, sondern zivilen Handels und wohl auch politischer Verbundenheit.

Dem Antisemitismus diese Gemeinsamkeit vom allgemeinen Friedensproblem abzusprechen, halte ich für verquer, unhistorisch und überhaupt nicht hilfreich.
 
2. Es "erfanden" auch jüdische Extremisten "den Juden", indem sie ebenfalls die Kollektivierung betrieben, wenngleich mit umgekehrten Vorzeichen und positiver  Unterscheidung zur Menschheit als Ganzem.

Und auch darin liegt Gemeinsamkeit mit allen mir bekannten Völkern, deren so weitgehend unbeirrbaren Glauben an die eigene Überlegenheit, worauf auch immer sie sich gründe, auf Gott, auf militärische Verwegenheit, auf Sitten oder Erfolg im Tanz, dem Handelsverkehr, also Kultur im weitesten Sinne mitsamt allen positiven und negativen Implikationen.

Wer die Geschichte der Juden von solcher Gemeinsamkeit ausnimmt, tut ihr ebenfalls keinen Gefallen und schon gar nicht "den Juden", sondern "erfindet" wiederholt nur solche Sonderheit, die der Neid anderer Ethnisten, Rassisten, Kulturisten, religiöser Fanatiker und  Nationalisten nicht zu ertragen versteht, mitsamt seinen fließenden Grenzen zwischen Patrioten und Idioten.

3. Mit der Diaspora erst begann eine "Besonderheit". Aber auch diese Besonderheit ist nicht von irgendeiner Exklusivität, sondern hat vieles mit Völkern gemeinsam, die ebenfalls aus ihren Heimatländern vertrieben, auswanderten: gelang in der Fremde die Integration nicht, so blieben sie "fremd".  
Damit stellt sich die Frage, worauf es beruht, wenn die Integration nicht gelang: Weil der kulturelle Abstand so tief wurzelte, dass es womöglich mindestens einer zeitweiligen politischen Dominanz bedurft hätte, um dauerhafte Gleichberechtigung zu erlangen? Eine solche Dominanz hatte das Judentum entgegen brauner Geschichtsschreibung jedoch nie und nirgends, sondern erst wieder seit Gründung allein im israelischen Staat. 
Doch was läge dieser Vermutung für ein Kulturbegriff zugrunde? Es scheint letztlich ein Versagen der Religionen, dass sich "fremd" blieb, was sich "fremd" sein wollte.

Aber das ist nur "These" und braucht Diskussion.  Und wo ist zwischen Juden und Christen die Ökumene?

sven

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