aus der Korrespondenz mit einem Sinto  Datum: 20020422
Nachstehende Positionierung ist teilweise veraltet, da ich inzwischen auf die positive Deutung des Begriffs "Assimilation" bestehe. (msr) 


Hallo Gino,

wirst du mal fertig mit deinen Zensurvorwürfen oder möchtest du es provozieren? Man kann jeden Menschen provozieren. Ich hoffe, du weißt das.

Wenn du es spaßig findest, antirassistische Texte gegen mich zu wenden, dann ist es schade um die antirassistischen Texte, denn dafür sind sie eigentlich nicht geschrieben.

Erzieher und Sozialarbeiter betreffend habe ich möglicherweise weniger Vorbehalte als du, weil ich viele kenne und um deren Engagement weiß. Negative Beispiele kenne ich auch und es wäre bedauerlich, wenn du nur solche kennenlerntest und deshalb prinzipiell gegen Sozialarbeit sein solltest.

"Assimilierung" ist sicherlich nicht das, was ich mir unter "interkulturellem Dialog" vorstelle. Und du solltest dann vielleicht mal zur Kenntnis nehmen, was ich an die Adresse der Chale schreibe. 

Prinzipiell schreibe ich allerdings an Sinti, was ich mir von ihnen erhoffe,

wenn ich an den Papst schreibe, dann schreibe ich, was ich mir von ihm erhoffe.

Wenn ich allen immer zugleich mitteilen müsste, was ich mir von allen anderen erhoffe, dann würde ich überhaupt nicht mehr fertig und langweilig würde vielen noch langweiliger.

Aber ich kann es auch mal allgemeiner formulieren: ich halte für erforderlich, dass sich die Menschen 
"den multikulturellen Verhältnissen anpassen", 
zumindest insoweit es für ein vorurteilsfreies und friedliches Zusammenleben erforderlich ist.

Mit "Assimilierung" hat das jedoch nichts zu tun, sondern es ist ein gegenseitiger Prozess, in dem sich verschiedene Kulturen miteinander zu verständigen lernen. 

Reaktionäre Deutsche sehen sich durch solche Forderungen in ihrer "deutschen Identität" bedroht. Möglicherweise entsprichst du deren Wunsch, indem du dich von den "Deutschen" ausnimmst?

Das aber würde ich anders sehen, denn die Sinti sind mir wie die Sachsen Teil "deutscher Identität", die ich für "multikulturell" halte und das steht immerhin seit Entstehung des heutigen Deutschlands als hoffentlich nicht leeres Versprechen im Artikel 3 Grundgesetz.

"Deutsche Identität" ist also zugleich "multikulturelle Identität in den Farben lebendiger kultureller Identitäten und Mentalitäten".

Das war territorial gesehen eigentlich nie anders, aber auf der Bekenntnisebene der Politik längst keine Selbstverständlichkeit, wofür auch der von dir gegen mich zitierte Text Zeugnis legt. 

Gleichberechtigung, die es zuvor für Sinti noch nie auf deutschem Boden einklagbar gab, 
erwächst aus gleichen Rechten und Pflichten. Darin liegen zwar Gefahren der Assimilierung, aber sie müssen sich nicht zwangsläufig realisieren, weil besagter Artikel 3 Grundgesetz nicht die "Gleichmacherei" predigt, sondern die "Gleichberechtigung" und damit auch Eigenständigkeiten wahrt. 
Der Pflichtenkatalog einer multikulturellen Gesellschaft nach den Vorstellungen des Grundgesetzes wird also nicht in die kulturelle Eigenständigkeit von Minderheiten eingreifen dürfen, was im Detail nicht einfach zu regeln ist. Die einen interessierts, die anderen nicht.

Solche Dinge kannst du also in Ruhe mit mir diskutieren, wenn du magst. Wenn du nicht magst, dann solltest du mich auch nicht darauf ansprechen.

Gino, ich habe mit so vielen Menschen zu tun und alles ist mir schon begegnet. Also ist mir auch deine Herangehensweise nicht neu. Von Zeit zu Zeit nehme ich mir Zeit dafür. Oft auch nicht, weil es eigentlich nichts bringt, sich auf Provokationen einzulassen.

Heute bekamst du mal wieder Antwort, aber solch freche Bemerkungen, dass ich mich von meiner Frau trennen solle, sind so untypisch für die mir bekannten Sitten von Sinti, dass ich bitte, mal etwas Kompetentes in Romanes auf die Reihe zu bringen, damit ich mich nicht unnütz mit einem Faker abgebe.

Solltest du ein Sinto sein, dann wüsstest du, dass man Anspielungen auf die Frau eines anderen unterlassen sollte, was übrigens kulturübergreifend allgemeine Sitte ist, ansonsten könnte es dir mal so vorkommen, als wenn auch in einem Chalo ein Sinto sitzt.

Bessere dich.

Sven Inidia

Anm.:   "Chalo"  ist ein Nichtzigeuner,  es ist kein Schimpfwort, aber ist wie jede Bezeichnung auch abfällig verwendbar.  "Der Ton macht die Musik." 

 

Nachstehende Positionierung ist teilweise veraltet, da ich inzwischen auf die positive Deutung des Begriffs "Assimilation" bestehe. (msr) 
 
Oberbegriffe >> Assimilation, Integration, Multikulturelle Gesellschaft

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