Wissenschaft, Religion, Esoterik

siddharta: Für mich ist besonders wichtig : Jenseits der naturwissenschaftlichen Erkenntnis.

Hallo Siddharta,

mir ist es wirklich ohne Belang, ob jemand "diesseits oder jenseits naturwissenschaftlicher Erkenntnis" seine Wahrheiten findet. Und rechtlich ist es nicht anders. 

Entscheidend ist allein, dass so wenig, wie sich der Naturwissenschaftler für die gesellschaftlichen Folgen seines Tuns mit der Wissenschaftsfreiheit rausreden kann, auch Religiöse und Esoteriker in dem Maße haften, wie ihr Tun gesellschaftlich ist.

Wer anderen aus dem Kaffeesatz Hetze "liest", um nicht für die Hetze zu haften, soll haften wie für Hetze, wenn ihm vermeidbar war, die Wirkung des Tuns zu verkennen, denn - wie ich soeben noch in anderem Zusammenhang schrieb - "die Bekenntnisfreiheit reicht nicht weiter als die Freiheit von Meinung, Kunst und Wissenschaft. Alle Freiheit gelangt in den berechtigten Interessen anderer an ihre Grenzen."

Grüße von Sven           DISKUSSION

 

Mir ist jede Erkenntnis "naturwissenschaftlich", also nur im Wege der Nachforschung möglich und endlich. 

Trotz allen unbestreitbaren Fortschritts umgibt uns noch immer viel, was uns nur Wahrnehmung, Gefühl, Charakter und Vermutung ist, ohne dass wir es erklären, geschweige denn beherrschen könnten, woraus sich entsprechend viele Irrtümer ergeben - im Privaten, im Beruf, in fast allem.

Wenn andere Menschen in selbiger Verlegenheit und in bewusster Ermangelung der Vollkommenheit ihre Erkenntnis aus religiösen Offenbarungen beziehen, so muss ich es ihnen weder nachtun noch wäre es mir ihnen widerleglich - und obendrein: könnte ich beispielsweise den Zufall als universellen Entwicklungsgrund beweisen, so würde ich es (hoffentlich) nicht tun, ohne zugleich beweisen zu können, dass dem Leben dadurch Sinn zufiel, ansonsten erschiene mir der Zufall unzureichend begriffen. 

Dieses Beispiel steht wiederum für folgende aus Erfahrung und auf Wiederholbarkeit beruhender Erkenntnis: Dass bloße Sachkenntnis nicht hinreichend ist, wenn der Umgang  ihr nicht gleichfalls begriffen ist.

Beispiel: Die Atomkraft. Die Spaltung wurde möglich und hinsichtlich der Folgen spricht man von "Restrisiken" und "Entsorgung", aber die "Restrisiken" potenzieren sich in der industriellen Anwendung und von "Entsorgung" kann keine Rede sein, so lange in Massen strahlendes Material produziert wird, dessen Strahlung sich nicht abschalten lässt. Überdies kommt die Aufregung in Bezug auf Nordkorea und den Iran nicht ausschließlich daraus, dass man der Westen gern dorthin AKW exportieren würde, sondern sehr wohl aus dem Grund, dass AKW-Mächte leichter die Schwelle zur Atombombe zu überschreiten befähigt sind - ein Zusammenhang, der jahrzehntelang in der AKW-Debatte bestritten wurde. Die Atomspaltung ist also eine Erkenntnis, die unzureichend ist, um ihre Anwendbarkeit zu gestatten.

Wer ein gutes Navigationsgerät hat, sollte damit nicht auf die hohe See aufbrechen, wenn er sonst nur Schwimmflossen hat. 

Andererseits folgt aus meinem "Verständnis von Erkenntnis", dass sogar manches, was mir gegen die Wahrheit spricht dann doch nicht Unwahrheit ist, wie etwa der Placebo-Effekt, wenn der Wirkstoff fehlt, aber den Glaube daran wirken lässt. 

Es gibt also viele Grenzen des Wissens, die wir dennoch überschreiten, weil es dazu keine vernünftige Alternative gibt.

Z.B. James Bond und die Zeitbombe: Drei Drähte. Das Ding wird hochgehen, wenn nicht der richtige Draht  davon durchschnitten wird. James setzt die Zange an, mal hier, mal dort, alles 007-Intuition, es sei denn, er weiß, dass er nur Schauspieler ist. Er durchtrennt ohne Kenntnis in bloßer Erkenntnis, dass jedes Schneiden besser ist als Nichtstun. - Das Leben geht weiter. Und doch war darin auch "Naturwissenschaft", nämlich die der Wahrscheinlichkeit. 

So kommt es für alle Erkenntnis darauf an, dass die Methoden dem Zweck zu entsprechen haben und letztes Kriterium nicht die stets nur vermutete Wahrheit ist, sondern die moralische Kenntnis hinsichtlich der Wirkung. Es gebieten sich Handeln, Unterlassen, Moratorien - nach "bestem Wissen und Gewissen" und das eine tut sich schwer ohne das andere.

Wenn also Esoterik für sich in Anspruch nimmt, "jenseits der Naturwissenschaft" Ausschau zu halten, so klingt das ja manchen ganz nett, weil die Naturwissenschaft in so vielem noch dumm ist und in vielem ganz sicher auch immer bleibt, aber wer "jenseits der Naturwissenschaft" 

Anders hingegen mit dem, was mir unter esoterischer Flagge begegnet: Defizite werden verabsolutiert, von noch ungewisseren Thesen werden Rückschlüsse gezogen, schon darin methodisch falsch und meist auch persönlich unglaubwürdig, was nicht heißt, dass nun jeder Esoteriker ein Lügenbold wäre, denn im Gegenteil sind viele genau darin sympathisch, dass sie suchen, suchen, suchen. 
Aber wer sich zu weit vom Standard entfernt, gerät in den Verdacht der Unlaubwürdigkeit, ob er will oder nicht - und das nicht etwa nur eine Gemeinheit der Gesellschaft, sondern es hat mit Erfahrung und Vernunft der Gesellschaft zu tun, so sehr sich das Genie auch verkannt fühlen mag oder verkannt werden sollte. Das Genie allein steht er in der Pflicht des Beweises und nicht etwa umgekehrt, wie es gerade in esoterischen Kreisen häufige Praxis ist, von der Wissenschaft den Gegenbeweis gegen esoterische Thesen einzufordern.

Wer ein Dogma daraus macht, dass alle Wissenschaft und die Gesellschaft sämtlich bestrebt sei, die Wahrheit zu unterdrücken, der verdächtigt allemal rücksichtslos und viele suchen/finden darin nach Profil und "alternative" Existenzgrundlage, denn für Verschwörungsgeschichten gibt es stets einen Markt, weil jede Verschwörungsthese zugleich suggeriert, dass die Schuld für Missstände jemandem zugewiesen wird, so dass man selbst darunter nur leide, weshalb man nicht verantwortlich sei.

Häufig ist das Anliegen "jenseits der Wissenschaft" jedoch auch gar keine Erkenntnis, sondern Hintertür für jederlei Variante des politischen Extremismus, um ihre Feindbilder in den Raum zu bringen, wenn sie es durch die Vordertür nicht schaffen. Wer da "im Kaffeesatz liest" und  "jenseits der Kaffeetasse" aus Freude an gemeinsamen Methoden nicht blickt, was andere für Ziele verfolgen, der tut sich freilich schwer, wenn er meine Kritik am Esoterischen liest, sobald er sich mit Fascho-Okkulten in einem gemeinsamen Kaffeesatz findet. Aber ich kann für die Tassen nichts, aus denen welche gemeinsam trinken und sich zu wenig "diesseits der Esoterik" Gedanken über ihre Mitschlürfer und Trittbrettfahrer machen.

Bist Du damit durch meine Kritik verworfen? Keinesfalls, denn ich mag mich Mensch und andere Menschen nicht um des Menschseins selbst zu kritisieren, nicht für das Denken, nicht für das Tun und Unterlassen, es sei denn, dass sich eine Pflicht aus dem Anteil an Gesellschaftlichkeit ergibt. Es kommt mir also nach allem nur darauf an, wie "diesseits vom Jenseits" jeder mit seinem Wissen und Gewissheiten umgeht, ob er  dafür die Verantwortung trage, was immer auch heißt, dass er sich durch die Gesellschaft in Verantwortung nehmen lasse.

Vielfach ist aber so, dass nicht nur zählt, ob jemand Verantwortung tragen will, sondern ob er sie auch tragen kann und ob verantwortlich ist, es in seine Verantwortung zu stellen: Wer Bakterien erforscht, sie entweichen lässt, soll haften wie jemand, der die Brunnen vergiftet. Wer sie forschen lässt, ohne die Sicherheit zu verlangen, soll ebenso haften. Solche Haftung ist auch politisch und darum haben mir alle Menschen immer auch ein Stück Mitverantwortung für das Menschheitsverbrechen, dass sie Politik, Wissenschaftler und Aktionäre z.B. mit Massenvernichtungswaffen spielen lassen.
  
Wer Bomben zünden kann, soll sich prüfen lassen, ob es "seine alleinige Angelegenheit" war oder gemeinsame Interessen berührte.
Ob jemand im Kaffeesatz liest oder geheime Zirkel behauptet, um nicht für Hetze zu haften, soll haften wie für Hetze, wenn ihm vermeidbar, die Wirkung des Tuns zu verkennen. Wer für die Wirkung seines Verhaltens nicht haften will, der soll eingesperrt sein, damit er nichts anrichten kann. 

Die reine Wahrheit ist Lüge, wenn sie sich um die Folgen nicht schert.

Die halbe Wahrheit ist für vieles ausreichend, wenn sie sich dessen bewusst Rücksicht nimmt.

Grüße von Sven

Esoterik - Pate des Extremismus

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