zur redaktionsinternen Kenntnisnahme

Die Euro-Klage: Diskussion der Schriften von Bandulet und Schachtschneider

zusätzliche Abschlußdiskussion auf spontanen Wunsch der Hörer

Ringvorlesung Energie - Umwelt - Gesellschaft

 

Referent:
Prof. Dr. Roland Reich, Physikalische Chemie, Freie Universität Berlin
Ort:
Chemiegebäude Takustr. 3, Hörsaal
Zeit:
Mittwoch, 1998-02-11 18:15 - 20:00 Uhr

 

  1. Nach Kohls Zugeständnissen an die romanischen Länder auf der Konferenz vom Dezember 1996 in Dublin soll die Europäische Zentralbank nicht dieselbe Unabhängigkeit erhalten, die die Bundesbank besaß und benötigte, um die Stabilität der D-Mark zu gewährleisten. Wer nach diesem Zeitpunkt noch behauptet hat, der Euro werde so stabil sein wie die D-Mark und die Kaufkraft unserer Renten wäre nicht gefährdet, hat voraussichtlich nicht die Wahrheit gesagt.

     

  2. Die Opferung der D-Mark war ursprünglich an die Vorbedingung der Bildung einer politischen Union geknüpft. Auch auf diese Vorbedingung hat Kohl verzichtet, d. h. die französische Regierung braucht keine Souveränitätsrechte an eine neu zu schaffende demokratische Zentralregierung abzugeben. Es bleibt daher bei der bisherigen undemokratischen, zentralistischen Entscheidungsstruktur der EU, die auf einen Abbau der nationalstaatlich organisierten demokratischen Freiheiten hinausläuft.

     

  3. Befürworter und Nutznießer der Währungsunion sind die großen Industriekonzerne und Banken, die ihre Macht noch bequemer über einen größeren Markt ausdehnen können. Die mittelständischen und kleinen Unternehmer werden untergehen, und die Arbeitslosigkeit wird entsprechend zunehmen. Mit der Oligopolisierung oder gar Monopolisierung schwindet auch das Interesse der Firmen an preisgünstiger Bedienung ihrer Kunden. (Das soziale Element an Erhards Marktwirtschaft beruhte auf der Antikartellgesetzgebung.) Die aus Sicht der Herrschenden lästigen demokratischen Strukturen werden zurückgedrängt, und die Führer Europas werden (wie bei der Vereinbarung des Maastricht-Vertrages) das Sagen haben.

     

  4. Es gibt aber auch andere Befürworter der Währungsunion, denen die demokratischen Ideale am Herzen liegen und die eine ehrliche, öffentliche Diskussion fordern und auch selbst sagen, was sie denken. Ein Beispiel ist Joschka Fischer mit seinem Artikel Warum ich für den Euro bin (DIE ZEIT vom 1997-03-21). Fischer hofft (trotz Kohls Zusagen an die französische Regierung) auf einen durch den Euro ausgelösten politischen Integrationszwang Europas. Vielleicht ist das auch die heimliche Hoffnung von Kohl und Lafontaine, die beide die ehrliche öffentliche Diskussion über den Euro vermeiden, indem sie anscheinend dem Volk keine verantwortungsvolle Entscheidungsfähigkeit zutrauen und zugleich vielleicht hoffen, die Franzosen (und auch die globalisierten, steuerflüchtigen Großfirmen?) überlisten zu können. Wäre das aber wirklich erfolgversprechend, die Völker und ihre Regierungen durch die gemeinsame Not der Inflation und der zentralistischen Mißstände zur politischen Einigung und Demokratisierung Europas zu zwingen? Erscheint nicht die Gefahr zumindest bedenkenswert, daß dieser Weg in Chaos und Bürgerkrieg enden könnte? Der Euro gefährdet nämlich den sozialen Frieden! Die Verzweiflung über Arbeitslosigkeit und Armut und besonders das Gefühl, von den demokratischen Parteien betrogen worden zu sein, könnte z.B. (wie nach dem ersten Weltkrieg) den Boden für nationalistische Demagogen bereiten, die bisher im heutigen Deutschland noch keine Chance hatten, in den Bundestag zu gelangen!

     

  5. Von Dietrich Böhler wurde im letzten Vortrag unserer Ringvorlesung entsprechend der philosophischen Idee der Zukunftsverantwortung gefordert, keine unkorrigierbaren Entscheidungen zu fällen. Die Entmachtung der bestehenden, national organisierten demokratischen Strukturen und bewährter gesetzlicher Institutionen (wie Bundesbank und Bundesverfassungsgericht) zugunsten zentralistischer Machtapparate wäre aber in diesem Fall in der Tat eine irreversible, unkorrigierbare Entscheidung! (Der Maastrichter Vertrag sieht nämlich absichtlich keine Ausstiegsklausel vor. Ein Land, das wieder austreten möchte, könnte von den anderen Mitgliedern mit Gewalt daran gehindert werden, ähnlich wie die Südstaaten der USA im Bürgerkrieg des vorigen Jahrhunderts!)

 

 


Diskussionsleitung: Klaus Christmann.
HTML-Formatierung: Burkhard Kirste, 1998-02-11, 1998-03-01

 

Verfassungsgericht unterstützt den Parlamentsvorbehalt

An die Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Bundesrates

Sehr geehrte Damen und Herren!

In unserem Brief vom 10.3.1998 hatten wir Sie gebeten, sich bei der Abstimmung über unsere Teilnahme an der Währungsunion nicht nur von der staatlich propagierten Meinung der Euro-Befürworter leiten zu lassen, sondern sich auch über die öffentlich unterdrückten Argumente der Euro-Gegner sachkundig zu machen, wie sie in dem Taschenbuch "Die Euro-Klage" der vier Professoren W. Hankel, W. Nölling, K. A. Schachtschneider und J. Starbatty formuliert sind.

Inzwischen ist diese Klage (zusammen mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde des Herrn Prof. Dr. Hans Heinrich Rupp) vom Bundesverfassungsgericht (BVG) verworfen worden. Dieses Urteil ist in der Öffentlichkeit vielfach als Bestätigung für die Unbedenklichkeit der Euro-Politik interpretiert worden, da die Verfassungsbeschwerden "offensichtlich unbegründet" seien. Der Bundestag hat daraufhin bereits am 2. April dem Einführungsgesetz zur Währungsunion für den 1.1.99 in erster Lesung zugestimmt.

Diese Interpretation des BVG-Urteils beruht allerdings auf einem Mißverständnis: Zu der inhaltlichen Begründetheit der Klagen nimmt das BVG nämlich gar nicht Stellung, da es sich dafür nicht gesetzlich zuständig fühlt, obwohl es den Inhalt der Klagen verständnisvoll und sachlich überzeugend zusammenfaßt (S. 1 und 16 - 25 der Urteilsschrift). Die Verwerfung der Verfassungsbeschwerden wird lediglich formaljuristisch damit begründet, daß die Gesetze für eine einklagbare Verschiebung der Währungsunion keine juristische Handhabe böten, nachdem der Maastricht-Vertrag (trotz sachlicher Mängel) juristisch nicht mehr anfechtbar ist.

Ausführlich wird dargelegt, daß der Art. 14 GG keine Handhabe liefere, auf juristischem Wege durch das BVG die Erfüllung der Konvergenzkriterien überprüfen zu lassen (S. 26 und 29 - 37). Zur Beurteilung der voraussichtlichen Stabilität der Währungsunion eröffne nämlich der Maastricht-Vertrag erhebliche Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognoseräume, für deren Handhabung nach Art. 23 GG allein Regierung und Parlament verantwortlich seien. Nach Ansicht des BVG reicht der Ermessensspielraum der Politiker nach dem Maastricht-Vertrag anscheinend so weit, daß sie das vielleicht wichtigste Maastricht-Kriterium, wonach die Staatsverschuldung eines Teilnehmers weniger als 60 % seines BIP betragen muß, notfalls von 60 % auf 130 % verändern dürfen, ohne daß das BVG dagegen einschreiten könnte, wenn der Bundestag von seinem Parlamentsvorbehalt keinen Gebrauch macht. Dies gibt einen Vorgeschmack auf den durch den Maastricht-Vertrag vorgesehenen Abbau unserer demokratischen Rechte!

Theo Waigel irrt, wenn er aus dem BVG-Urteil den Schluß zieht, "daß der Euro kein Abenteuer ist". Gerade weil das BVG sich nicht dazu berufen fühlt, das Urteil der Europäischen Kommission über die angeblich ausreichende Erfüllung der Konvergenzkriterien zu überprüfen, weist es die letzte Verantwortung für diese politisch notwendige Überprüfung dem Bundestag und dem Bundesrat zu!

In Ihrer Entschließung vom 2.12.1992 haben Sie versprochen: "... Der Deutsche Bundestag wird sich jedem Versuch widersetzen, die Stabilitätskriterien aufzuweichen, die in Maastricht vereinbart worden sind. Er wird darüber wachen, daß der Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion sich streng an diesen Kriterien orientiert. ..." Auch der Bundesrat hat diese Entschließung bekräftigt. Das BVG hat in seinem Urteil vom 12.10.93 dieses Versprechen von Ihnen als einen von allen europäischen Regierungen zu respektierenden Vorbehalt erklärt, ohne den Ihre Zustimmung zur deutschen Mitgliedschaft in der Währungsunion nicht wirksam ist. In seinem Urteil vom 31.3.98 hat das BVG diesen "Parlamentsvorbehalt" nochmals zitiert (S. 13 und 14) und damit sein früheres Urteil bestätigt. Sie können das als eine Aufforderung des BVG an den Bundestag auffassen, sich bei Ihrer Abstimmung am 23.4.98 an dieses Versprechen zu halten, das Sie den Wählern am 2.12.1992 gegeben haben!

Joschka Fischer sagte am 2.4.98 im Bundestag, ohne den Ausbau zu einer politischen Union fahre die Währungsunion "krachend gegen die Wand". Solange die anderen Länder aber keine politische Union wollen, hat diese wohl kaum noch eine Chance, wenn Deutschland am 23.4.98 den Parlamentsvorbehalt als letzten Trumpf aus der Hand gibt, da der Maastricht-Vertrag die Währungsunion leider auch ohne politische Union zuläßt. Der Parlamentsvorbehalt bietet am 23.4.98 vielleicht die letzte legale Gelegenheit, sich mit einigermaßen begrenzbarem Schaden aus einem Unternehmen zurückzuziehen, das gegenwärtig wegen schon jetzt sichtbarer, unüberwindlicher Interessengegensätze zum Scheitern verurteilt wäre. Die Behauptung, bei Verschiebung der Währungsunion sei der Schaden noch größer als bei ihrem späteren Scheitern, kann ohne ehrliche und detaillierte vergleichende Analyse nicht akzeptiert werden,

Über "kreative Buchführung" zwecks scheinbarer Erfüllung der Konvergenzkriterien wird im Ausland offen berichtet, aber deutsche Medien schweigen darüber. Tony Blair hat wegen derartiger Methoden am 4.6.97 vor dem Britischen Unterhaus den Abbruch der Währungsunion gefordert: "I have also made it clear, as we have always said, that the criteria for monetary union should not be fiddled, fudged or botched in any way. If they are, the answer is not to delay - the answer is not to proceed." (Zitat in "Die Euro-Klage", loc. cit. S.69). Um unserer Demokratie willen können wir derartige Methoden nicht akzeptieren. Wenn der Bundestag aber am 23.4.98 ohne Rücksicht auf den Parlamentsvorbehalt dem Eintritt in die Währungsunion zustimmt, würde er damit diese Methoden akzeptieren. Wie können dann die Wähler ihren Abgeordneten in Zukunft noch vertrauen?

 

 


Prof. Dr. Roland Reich
Freie Universität Berlin, Fachbereich Chemie, Institut für Physikalische und Theoretische Chemie
Interdisziplinäre Ringvorlesung "Energie - Umwelt - Gesellschaft"

 

Dialog-Lexikon