Franklin Expedition 1845

Katastrophal verlaufene Forschungsreise zum nördlichen Polarkreis auf der Suche nach einer schiffbaren Verbindung vom Atlantik zum Pazifik über Nordamerika ("Nordwestpassage") unter der Führung von Sir John Franklin im Jahre 1845.

Die Suche nach der legendären Nordwestpassage beschäftigte den europäischen Entdeckergeist über Jahrhunderte. Als letzte verbliebene Seemacht mit globalen Ansprüchen unternahm das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland in der Mitte des 19. Jahrhunderts neue Anläufe zur Erforschung der nordöstlichen Polarregion. Neben praktischen Erwägungen im Hinblick auf die Möglichkeit einer wesentlich verkürzten Seeroute nach Asien galten die Forschungsreisen dabei auch der Konsolidierung der britischen Kolonialherrschaft in Nordamerika. Die Nordpolarregion war den Europäern zu dieser Zeit noch weitgehende terra incognita, ihre Kartographierung war daher das wissenschaftliche Mittel der Formulierung kolonialer Besitzansprüche.

Aus heutiger Sicht erstaunlich erscheint der Wagemut der Epoche: Durch zahlreiche vorangegangene Unternehmung wusste man um die lebensfeindlichen Bedingungen der Polarregion. Die Bewegung unberechenbarer Eismassen in einer labyrinthischen und zu großen Teilen vollkommen unbekannten Inselwelt machte die nautische Befahrung mit hölzernen Segelschiffen zu lebensgefährlichen Expeditionen, die weit über die letzten Grenzen der bewohnten Regionen in eine Welt hinausführten, in der extreme Kälte und monatelange Dunkelheit herrschten. Dennoch begegnete man den Gefahren im optimistischen Vertrauen auf die Überlegenheit der eigenen Zivilisation und ihrer technischen Ausrüstung. Beide Schiffe der Franklin-Expedition, die HMS Erebus und HMS Terror, verfügten über den zeitgenössischen letzten Stand der Technik wie Stahlarmierungen, Dampfmaschinen, Heizungssysteme und Konservennahrung. Die Expeditionsschiffe erschienen wie Miniaturausgaben der viktorianischen Gesellschaft: Streng hierarchisch organisiert, technisch-wissenschaftlich beschlagen, zivilisatorisch diszipliniert, gottesfürchtig und vertrauend auf die Vorsehung. Ausgestattet auch mit einem gewissen Luxus, großen Vorräten an Tabak, Alkohol und Zitronensaft gegen Skorbut, gedachte man bis zu 3 Jahre in vollkommener Autarkie verbringen zu können.

Der genaue Verlauf der Expedition bleibt trotz bis in die Gegenwart zyklisch immer wiederkehrender Aufklärungsversuche in großen Teilen rätselhaft. Fest steht, dass beide Mannschaften, festgefroren im Eis, mehrere Winter auf ihren Schiffen überdauerten. Es sprengt die Vorstellungskraft unserer eigenen Gegenwart, was das Ausharren in einem hölzernen Schiffskörper mitten in der unendlichen Weite des Eises bedeutet haben mag. Kälte, Dunkelheit, Stürme, Klaustrophobie und die akustische Kulisse der permanent arbeitenden Eisschollen, die die Schiffe zu zerstören drohten, verweisen auf eine Leidensfähigkeit, die jenseits aller Erfahrung liegt. Als vermutlich im Jahr 1847 in den Sommermonaten kein Tauwetter einsetzte, dürfte sich die Einsicht in den katastrophalen Charakter der eigenen Situation endgültig durchgesetzt haben. Es gibt Indizien, dass zumindest Teile der Mannschaften ihre verhältnismaßig sicheren Schiffe verlassen haben und zu einem Todesmarsch aufgebrochen sind, um das hunderte Kilometer entfernte Festland zu erreichen.

Jahre und noch Jahrzehnte später wurden die letzten Spuren der Expedition an den Küsten von King William Island gefunden, wo sie als Inventar der viktorianischen Gesellschaft großräumig verstreut lagen: Werkzeuge, Teller, Konserven, Bibeln, allerlei sinnlose Dinge und zahlreiche menschliche Gebeine, deren gerichtsmedizinische Untersuchung den Schluss nahelegten, dass die letzten Überlebenden in Hunger, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung ihre Toten verspeist haben, bis sie selbst starben und im Nichts der kargen Polarinsel verschwunden sind. Ein schattenhaftes Nachleben führte die Franklin-Expedition allerdings in der mündlichen Tradition der Inuit, in deren Erzählungen Schiffe und Männer erscheinen - geisterhaft, aber im Detail erstaunlich präzise. Vermutlich waren Inuit die letzten Augenzeugen, die das Scheitern der Expedition beobachtet haben. 

MajkM 20180419

lexikalisch >> http://de.wikipedia.org/wiki/John_Franklin 


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