von Sven
Redaktion am 8.Oct.2003 13:41
Hallo Dietrich S.,
zunächst wieder herzlichen Dank für Dein Posting! Und es sind sehr
gute Gedanken enthalten, die unsichtbaren Wunden des Krieges, vor
allem den Heldenmythos betreffend, also die Selbsttäuschung und die Täuschung
aller, gipfelnd in dem Vergleich, wonach Kriege ohne Helden seien wie
Religionen ohne Heilige, was wirklich klasse klingt.
Und doch, so schön die Worte auch sind, führen sie in die Irre, denn
ist schon der Krieg ungetäuscht NICHT aus Heldenstoff gemacht, so wäre
sein Grund als kollektiver Ausdruck individuell-inneren Unfriedens
keinesfalls im Wesen beschrieben.
Die Lüge und Täuschung können des Krieges gewöhnliche Begleiterin
sein, zum Grund und Zweck reichen sie nicht und werden vielen Opfern
des Krieges, insbesondere überfallener Staaten, nicht gerecht.
Denn ganz sicher kann nicht jeder dem Krieg dadurch entgehen, dass er
sich in Sandalen versucht, ganz sicher ist das Kind als Opfer des
Krieges für diesen restlos "unzuständig", ob es nun
"in sich" Frieden hat oder nicht, an Helden glaubt oder
nicht, getäuscht ist oder nicht - wird es ungefragt getötet. Und die
unsichtbaren Wunden kommen doch nur den sichtbaren hinzu.
Der "innere Friede" taugt einzig dazu, besserer Herr seiner
Sinne zu sein und sich in der Umwelt vernünftiger zu verhalten, aber
die Umwelt als "äußerer Zustand" kann in jeglichem Moment
jeden "inneren Frieden" durch Schmerz und Tod ersetzen,
weshalb der "innere Friede" nur denen genügen kann, die an
ein jenseitige Leben glauben oder solch speziellen Atheisten, die
daran glauben, dass ihnen am Leben so wenig gelegen sei wie am Nichts
nach dem Tod.
Diese beiden Haltungen sind - und das ist das eigentlich Fatale an
solchen psychologisierenden Kriegsdefinitionen: beide Haltungen sind
im Ergebnis komplementär zu derjenigen des religiösen Fanatikers,
der zum Töten bereit ist wie zum Sterben, weil er sich im Gehorsam
seines Gottes verklärt oder auch des atheistischen Revolutionärs,
der zur Erreichung höherer Ideale fremdes und eigenes Leben zu opfern
bereit ist.
Ich behaupte daher das Gegenteil und meine, dass der Krieg statt einer
Täuschung vielmehr "Kalkulation auf den Bruch des Rechts"
ist - UND dass dem Krieg auch nur mit dem Recht begegnet werden kann.
Solches Recht darf sich nicht darauf beschränken, dass es erst über
den Angriff befindet, denn dann käme das Recht zu spät, sondern müsste
die Kräfte betreffen, die zum Krieg befähigen und über seinen
Beginn entscheiden.
Wer die Entscheidung über Krieg und Frieden den Nationen als
"souveränes Recht" belässt, also als ginge das die Welt
weniger an als die Nation, der stellt letztlich die Welt der Vernunft
einzelner Nationen anheim.
Und wenn doch längst eingesehen ist, dass die Nationen
"eigentlich nicht Krieg führen, sondern friedlich sein
sollen!", denn so steht es noch völkerrechtlich in der
UN-Charta, darf den Nationen nicht die Potentiale belassen, eben den
nationalen Oberbefehl über die nationalen Militärs. Wer es dabei belässt,
der kann den Krieg "verurteilen", so oft es dazu kommt, ABER
er hat ihn nicht gehindert.
Der Krieg zwischen Nationen beruht auf nationalem Versagen, dass nur
dadurch auszuschließen ist, dass man die Nationen militärisch
kastriert und global darüber wacht, dass da national nichts nachwächst.
Deshalb sage ich anders als die Mönche - und in Reihenfolge von
Dringlichkeit in Abhängigkeit von politischer Realisierbarkeit:
1. Schritt: Keine Truppen mehr auf fremden Staatsgebiet ohne
UNO-Marschbefehl (auch nicht auf "Einladung").
2. Schritt: Keine Waffen mehr in internationalen Gewässern oder Lufträumen
ohne UNO-Marschbefehl.
3. Schritt: Oberbefehl der UNO über alle militärischen Kräfte in
allen Staaten.
Parallel zu diesen Schritten dann noch die permanente Forderung, dass
alle Industrie und Wissenschaft der UNO-Rüstungskontrolle zu
unterwerfen ist, denn niemand kann individuell oder national
legitimiert sein, die Menschheit als Ganzes zu gefährden, weil das
der Preis für seine Sicherheit sei.
So ist seit nunmehr wenigstens 30 Jahren politisch-technische Wahrheit
jenseits jeder zwischenzeitlichen Vietnam-Erfahrung und Kosovo-Tragik,
dass sechs Milliarden Menschen innerhalb weniger Stunden auch aus
Sandalen geworfen würden, wenn etwa ein Putin oder ein Bush aus
Mangel an "innerem Frieden" die atomaren Marschbefehle
erteilte.
Doch auch dann wäre kein Himmel auf Erden, sondern noch immer Mord
und Korruption, Terrorismus und Gefahr aus den Labors. Auch dann
herrscht noch Bürgerkrieg, aber auch diese Katastrophen sind durch
wirkliche Weltpolizei eher einzudämmen als durch um Vormacht
streitende Interessengruppen vor Ort und noch immer würden wir nicht
alle Polizei in Sandalen stecken, denn die Erde bleibt Erde und nicht
jeder findet zeitig genug zum "inneren Frieden", um ihn auch
anderen zu lassen.
Die Mönche und die Sandalen sind wichtig, zeigen andere Werte auf,
die konkurrieren sollen zu denen, an die sich die Menschen ansonsten
versklaven ohne ideelles Gegengewicht.
Aber würden die Werte der Mönche die anderen Werte verdrängen, so wäre
das zumindest für mich Tyrannei, denn ich liebe die Weiber, ihre
hohen Schuhe anstatt der Sandalen und fast sämtliche Unvernunft, so
auch den "inneren Unfrieden".
Der "innere Friede" kann selbst in höchster Addition nicht
das Gesetz ersetzen, denn allein das Gesetz ist in der Lage "vernünftiger"
zu sein als jeder einzelne Mensch samt seinem Kollektiv, weil selbst
der persönlich Unvernünftigste für höhere Vernunft ebenso leicht
zu gewinnen ist wie für höhere Unvernunft (bzw. kollektive
Vernunft/Unvernunft). Das zeigt die Geschichte, auch die der EU, also
die "Verselbständigung" von Prozessen oder
"Eigendynamik", in der andere Kräfte zu wirken beginnen als
die Ausgangskräfte.
Die Politologie und Soziologie können das eher erklären als die
Religion und Psychologie. Die Philosophie mag die größere Klammer
wagen, aber darauf kommt es dann weniger an als auf die vielen kleinen
Schritte zur Eindämmung und Ausschließung der erkennbaren Risiken.
Der Mensch ist nicht anders als alle Natur: er will blühen und damit
auch übertreiben, denn sein Leben vergeht und da ist ihm nichts
nachzuholen, so viele auch auf das Jenseits oder den eigenen Mythos
vertrauen, was im Bewusstsein und Handeln annähernd das Gleiche ist.
Wir müssen also "diesen Menschen" einkalkulieren, wenn wir
über Politik sprechen: diesen "schwer und nie sämtlich veränderlichen
Menschen", wenn wir über Krieg und Frieden reden, wie wir es
auch tun, wenn wir über Betrug und Diebstahl reden - und dafür
Gesetze fanden.
Den Krieg kann man nicht dadurch beenden, dass man die Menschheit
gegen Mönche austauschte, sondern Menschen wie Mönche Gesetzen
verantwortlich macht, das heißt: Kompetenzen beschneidet und
Konsequenzen anordnet.
Ausgerechnet unter "guten Menschen" habe ich da wenig Verbündete.
So erscheinen mir meine Wünsche schon fast selbst wie Sandalen, was
ich überhaupt nicht verstehen kann :-)
Grüße von Sven
Redaktion
DISKUSSION
Frieden
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