von Sven
Redaktion am 26.Jan.2003 19:09
Hallo Jochen,
wer würde Dir darin nicht zustimmen, dass Saddam Hussein
"inakzeptabel" ist? Aber wir entledigen uns nicht des
Kopfschmerzes, indem wir uns unter das Fallbeil begeben.
Das jedoch wird für die Bevölkerung Iraks sein, für das
Bewusstseinsverhältnis in vielen Ländern gegenüber der westlichen
Welt.
Jede auf den Irak oder gar Hussein reduzierte Folgenkalkulation ginge
fehl - und sollte selbst schon genügen.
Ich stimme Dir zu, dass jede Kritik an der Bush-Politik dem
Hussein-Regime "den Rücken stärkte", aber das ist nicht
Effekt der Friedensbewegung, sondern Effekt einer Bush-Politik, auf den
Konsens mit der Welt verzichten zu wollen und sie an seiner Politik in
Lager zu teilen.
Ich stimme Dir darin zu, dass die Friedensdemonstrationen "relativ
klein" sind, aber das Demonstrationsrecht ist ein Recht und keine
Pflicht, jedenfalls in Demokratien nicht. Und die Menschen in den
Industrienationen verhalten sich heute anders als vor noch 15 Jahren.
Unter anderem im Internet.
Meine alten Eltern demonstrierten konventionell in ihrer Stadt, während
ich Webseiten schrieb.
Verzeih' mir bitte den Sarkasmus, aber meinst Du, ich hätte
demonstrieren sollen? Das Berliner Wetter war mir zu schlecht und einige
Friedensseiten schienen mir überholungsbedürftig. So banal ist die
Realität. Ich mag mich nicht für/gegen Bush in den Regen stellen. Dann
sollte die Sonne scheinen. So banal ist die Realität, dass sie Dich
schon zu täuschen scheint:-) Nicht bös' gemeint.
Die Repräsentativ-Umfragen bestätigenden übergroße
Bevölkerungsmehrheiten gegen den Krieg, aber es werden nicht 80 Mio.
Bundesbürger glauben, dass 50 Mio. auf die Straße gehen müssten,
damit Schröder und Fischer ihre Arbeit tun.
Unser mit den Politikern gemeinsames Problem scheint mir eher, dass wir
zu wenig Plan gegen Krieg als Mittel der Politik aufbieten.
Zu allen Zeiten warf man der Friedensbewegung "Einseitigkeit"
vor, denunzierte sie der bewussten oder naiv-vertrottelten Kollaboration
mit dem Feind.
Aber zu keiner Zeit war dieser Vorwurf so falsch wie heute.
Eine "Fünfte Kolonne Moskaus" mag es zu Zeiten des
Ost-West-Konflikts gegeben haben. Das entsprach einem Teil meines
Selbstverständnisses, auf das man mich zu mehr oder weniger Unrecht
reduzierte, um die damalige Friedensbewegung insgesamt zu treffen, was
dann ganz sicher Unrecht war. Damit versündigten sich Leute wie
Schmidt, Kohl und Galinski in schlimmer Weise und oft wider besseres
Wissen. Ausgenommen Galinski, der von Politik zu wenig verstand und
einfach nur gegen alles war, was dem Osten "den Rücken
stärkte".
Das unterschied ihn negativ von seinem Nachfolger Bubis. Unterschiede,
um die man wissen kann, ausgenommen hier mitlesende Rechtsextremisten,
die sich ebenfalls nur auf Scheibenwelten verstehen mit "zwei
Seiten" und übersehen auch da noch den verbindenden Rand.
Es scheint, dass Du die innenpolitischen Verhältnisse in den USA falsch
einschätzt, wenn Du auf zu dürftig besuchte Demonstrationen abstellst.
Die dortigen Minustemperaturen dürften vielen ähnlich ihrer
Spontaneität geschadet haben wie mir schon ein bisschen Regen.
Die Demo in Washington war nicht nur groß, sondern mit der
anschließenden "Waffen-Inspektion" gelungene Symbolik,
"gewaltlos schlagend" zu argumentieren, was Herrn Bush
offenbar nicht gelingen will.
Wenn man dazu noch über die Besucherzahlen hinaus auf die Inhalte
lauscht, dann würde man es mit Unverstand für
"Antiamerikanismus" halten, was Herrn Bush vorwirft, aber die
zur Übertreibung neigende Leidenschaftlichkeit der US-Friedensbewegung
könnte treffender als ebenfalls "Amerikanismus" bezeichnet
werden - mir würde indes genügen, wenn sich die Leute nicht
fortlaufend gegenseitig die Nationalität absprechen würden, was sie
nur unnötig von rationaler Politik abhält.
Ich tue mich mit der Emotionalität auch unserer amerikanischen
Inidia-Partner oft recht schwer, aber immerhin bekommen wir seit vielen
Jahren voneinander nie genug, haben meist nur - wie für alles - zu
wenig Zeit für einander.
Weil wir hier wie drüben den selben Fehler machen: Demokratie- und
Friedensbewegung als sich selbst verschleißende Reaktion auf böses
Weltgeschehen. "Zurück! Not in our name, ..." Aber an
Alternativen lässt man es fehlen, die durchsetzbar wären. Bringt man
aber dort Demokraten oder hier Herrn Fischer an die Macht, hat man noch
längst nichts anderes als
mit Stoiber, wenn man
Jochen. Lass Dich nicht verschrecken, aber ich hatte bis eben
anstrengende Politik-Telefonate - und weil ich von aktiven Politikern
immer mehr will als die von mir, bin ich danach diplomatisch erschöpft
- und dann kamen von Dir die gleichen Argumente. Das strengt an. Aber
bleibe uns treu, denn ohne Dich würde diesem Forum Farbe fehlen.
Grüße von Sven
Krieg ist Menschheitsversagen