von Martin
am 25.Nov.2003 23:43
Hallo X-Calibur,
Deine 'Definition' von Antisemitismus:
"Antisemitisch war für mich bisher alles, was dazu geeignet
war, Hass, Gewalt, Vertreibung oder Ausgrenzung gegen Juden zu
erreichen."
Ja. Aber der manifeste, offen bekennende Judenhass, den es ja Gott
sei Dank in dieser unverhohlenen Form heute kaum noch gibt, bildet
eben nur die Speerspitze dessen, was Antisemitismus ausmacht. Der
offene Gewaltausbruch hat natürlich eine Vorgeschichte, eine offene
Reihe von mehr oder weniger unterschwelligen Vorurteilen, historisch
entstandenen und immer weiter tradierten Ansichten, Meinungen und
Klischees über Juden: Von Geldgier, Geschäftstüchtigkeit,
Verschlagenheit bis hin zur Verschwörungstheorien, die Juden hinter
den Kulissen nach der Weltherrschaft ringen sehen.
Der Glaube, die Juden hätten den Kommunismus erfunden, ist keine
neue Einsicht von Hohmann, sondern erstens historisch vollkommener
Blödsinn und zweitens eben ein antisemitisches Stereotyp, das in
der NS-Ideologie und ihrer Phraseologie vom 'jüdischen
Bolschewismus' seinen Höhepunkt erfahren hat. Dass Hohmann sich in
dieser Frage auf hirnrissige Pamphlete des notorischen Antisemiten
Ford bezieht, ist nicht nur ein intellektuelles Armutszeugnis,
sondern ein Vorgang, der seine Rede in die Nähe der Volksverhetzung
rückt.
Es geht Hohmann darum zu zeigen, "wie stark und nachhaltig
Juden die revolutionäre Bewegung in Rußland und mitteleuropäischen
Staaten geprägt haben." Diese Interpretation ist eben eine
Interpretation und mitnichten eine historische Tatsache - und sie
ist ein antisemitisches Klischee und historischer Blödsinn. In der
Gesamtbilanz waren die Juden Opfer des Kommunismus und nicht seine
Drahtzieher, die die Menschheit mit bolschewistischer Gewalt überzogen
haben.
Hohmann weist ja darauf hin, dass Juden, die im Frühbolschewismus
aktiv waren, sich nicht mehr mit ihrer Religion identifiziert haben
- gleichwohl wird die Kategorie 'Jude' aufrecht erhalten: eine
Operation, die seine Argumentation mindestens in die Nähe
rassenbiologischer Konzepte rückt.
Man könnte die Kritik an der Rede fortsetzen, man könnte zeigen,
wie historische Schuld mal wieder relativiert werden soll, indem sie
ausgerechnet der vermeintlichen Täterschaft der Opfer
gegengerechnet wird, man könnte Parallelen aufzeigen zur
Argumentation der Neuen Rechten und ihrem obsessiven Schuldkomplex,
man könnte noch vertiefen, wie Geschichtsklitterung für für
bestimmte Argumentationsziele instrumentalisiert wird usw.
Ich möchte Dir noch drei Links mit auf den Weg geben, die dich in
der Hohmannfrage vielleicht weiterbringen werden. Richard Herzinger
hat in der Zeit einige instruktive Dinge zur Hohmann-Strategie und
seiner Verstrickung in antisemitisches Denken geschrieben:
http://www.zeit.de/2003/46/Kommentar_S_6
http://www.zeit.de/2003/47/hohmann_47
http://www.zeit.de/2003/45/anti
Grüße
martin