Wozu Holocaust-Gedenken?
Verfasst: Fr
22. Apr 2011, 20:14
Hallo E., ein Teil der gelisteten Widersprüche ergibt sich schon daraus,
dass es kenntlich gemacht unterschiedliche Autoren sind. Die Webseite ist
kein Lexikon, sondern ein Dialoglexikon, hat den Widerspruch zum Aufhänger.
Ein weiterer Teil deiner Liste dokumentiert Meinungsentwicklung, zumal
politische Ansichten nicht angeboren sind; siehe Text-Datum.
Sprachkurs: Wem Juden "umgekommen" sind ...
Flüchtigkeitsfehler reichlich, nicht aber in meinen Begriffsverwendungen, denn dafür bin ich in Begriffe/Begreifungen zu sehr verliebt.
Auch deshalb missfallen mir einige deiner Formulierungen, z.B.: "..., es ist zwar richtig, daß Juden umgekommen sind, aber ..."
Falsch - und längst nicht nur Wortklauberei, wenn du in solch Kontext das Adjektiv "richtig" falsch verwendest. Schreibe stattdessen "zutreffend" oder "wahr", aber "richtig" war der Mord an den Juden keineswegs, sondern Verbrechen ekelhaftester Art.
Der Holocaust ist zum Politikum geworden, weil Juden eben nicht bloß "umgekommen" sind, wie du es formulierst, sondern massenweise und vorbereitet/begründet mit rassistischen Unterstellungen ermordet wurden.
Zwar mag sein, dass du einfach nur leichtsinnig Begriffe verwendest, aber das wird solchem Thema nicht gerecht und lässt dann auch auf allgemeinere Defizite und/oder rechtsextremistische Provokation schließen.
Allerdings begegnet uns insbesondere die Falschverwendung des Adjektivs "richtig" anstelle von "zutreffend" nahezu täglich in politischen Sendungen/Nachrichten begegnet, ohne dass es Rechtsextremisten wären. Das ist Geistverflachung und keine Liebe zur Richtigkeit. Die müsste auch nicht in allem sein, aber es ist mit der Richtigkeit im Politischen wie mit der Vorsicht, dass wer eine Steilwand erklimmt, mehr aufpassen muss als wenn er sich im Bette dreht. Es gibt genügend politische Themen, bei denen es auf kaum etwas ankommt. Anders beim Holocaust.
Das Holocaust-Mahnmal[/b] betreffend wandelte sich meine Ansicht erst mit der Fertigstellung. Es kam eben anders, wie so vieles in der Welt und im Leben oder mit den eigenen Kindern, mal schlechter, mal besser - und oft gut, dass nicht alles nach meinen Vorstellungen kommt. Mit dem realisierten Konzept galt es sich abzufinden, wobei ich und viele, viele Berliner und Touristen ganz gut oder gar bestens damit klar kommen.
Die Kosten betreffend, die du für überhöht hältst - und kennst die Buchhaltung vermutlich so wenig wie ich, müsste dich beruhigen, dass dieses Mahnmal wie die Reichstagskuppel ein "Publikumsmagnet" wurde. Und ohne solche Magnete wäre vielen Leuten der Spruch "Berlin ist eine Reise wert" unstimmig.
Dein "Warum immer noch ...?"
1. Weil es nicht lange her ist, denn meine Eltern erlebten es.
2. Weil es "noch immer" Idioten gibt, die vergessen machen möchten, was Erinnerung und Mahnung braucht.
3. WEIL ES GESCHICHTE IST. Und zwar Geschichte unseres Landes. Allemal aktueller und zu uns gehörend als die schöne Nofretete auf der Berliner Museumsinsel.
Dein "ständige Gedenken" ... "auf allen Sendern" ... "im Widerspruch zur Versöhnung" ?
Du stellst dir offenbar vor, dass ich ständig an den Holocaust denke oder du daran denken sollst. Weit gefehlt. Schaue dir an, zu welchen Themen ich in den anderen Bereichen schreibe - und mein Leben hat sicherlich noch einige Themen mehr - und dein Leben hoffentlich auch.
"Auf allen Sendern" gibt es das allenfalls bei aktuellen Großkatastrophen (Fukushima oder der 11.9.), aber zum Holocaust habe ich "auf allen Sendern" noch nicht erlebt. Dabei ist klar, dass wenn ich nach einem anstrengenden oder auch lustigen Tag vor dem Fernseher lande, nicht unbedingt eine Holocaust-Dokumentation brauchen kann. Aber wenn dann doch z.B. bei Phönix, weil mich auf ARD und ZDF oft gleichzeitige Quizsendungen nerven, dann "darf es schon mal auch Hitler oder Holocaust" sein, wenn ich die Doku nicht bereits kenne.
Ich kenne keinen Antifaschisten, der süchtig nach NS-Dokus wäre, denn im Gegenteil kommt mir eher die Kotze hoch, weil ich nun mal im Hinterkopf habe, dass es in Gleichzeit zur Judenverfolgung viel "Normalität" im Lande gab, dass "passieren" bzw. verbrochen werden konnte in Gegenwart von vielen gescheiten Menschen, die diesem Nazi-Gelumpe politisch zu wenig entgegenzusetzen hatten oder gar die Systeme und "Wunderwaffen" bastelten.
Die versagenden Eliten. Das ist ein zugleich ganz allgemeines, epochenübergreifendes Problem, wenn heute nicht genug über erforderliche Lösungen nachgedacht wird und der Intellekt sich nur der eigenen Rente widmet. Viele haben keinen Spaß an Problemlösungen, keinen Spaß an vernünftigen Auseinandersetzungen. Zu viel Spaß an Ablenkung, für die immer mehr Aufwand getrieben werden muss, je tiefer jemandem die Sinnkrise ist.
"Im Widerspruch zur Versöhnung" steht ein Gedenken entgegen deiner Vermutung nur dann, wenn die kritische Auseinandersetzung mit Verbrechen vernachlässigt würde, wie es beispielsweise bei uns in Deutschland jahrzehntelang mit dem Holocaust an Sinti und Roma passierte und auch mit dem Holocaust an den Juden erst in den Siebzigern den gebührenden Umfang annahm. Im Widerspruch zur Versöhnung steht, wenn schon das bloße Benennen der Verbrechen strafbar ist, wie lange Zeit und vereinzelt auch heute noch in der Türkei im Hinblick auf den Völkermord an den Armeniern.
Hätte Deutschland die Opfer des Nationalsozialismus in der Trauer und im Gedenken allein gelassen, hätte keine Versöhnung stattgefunden. Die Unversöhnlichen hätten das Sagen. Und Deutschland hätte sich nicht vom Nationalsozialismus emanzipiert, hätte nicht in die Völkergemeinschaft gefunden - und wäre wohl auch nicht zu dem Wohlstand gekommen.
Rechtsextremismus und Antisemitismus beruhen zumindest in Deutschland nur ausnahmsweise auf Bildungslücken, denn dafür gibt es tatsächlich genug Aufklärung, sondern sind Probleme der charakterlichen Hygiene.
Beim Gedenken an den Holocaust kann es nicht ausschließlich um Versöhnung gehen, sondern es ist auch moralische Reinigung, die allerdings typischerweise von denjenigen am meisten verabscheut wird, die es am nötigsten hätten.
Deine anderen zwei Themen kommen bei Lust und Gelegenheit in den dazu passenden Bereichen von www.Diskussionen.de zur Sprache.
Grüße aus Berlin!
Sprachkurs: Wem Juden "umgekommen" sind ...
Flüchtigkeitsfehler reichlich, nicht aber in meinen Begriffsverwendungen, denn dafür bin ich in Begriffe/Begreifungen zu sehr verliebt.
Auch deshalb missfallen mir einige deiner Formulierungen, z.B.: "..., es ist zwar richtig, daß Juden umgekommen sind, aber ..."
Falsch - und längst nicht nur Wortklauberei, wenn du in solch Kontext das Adjektiv "richtig" falsch verwendest. Schreibe stattdessen "zutreffend" oder "wahr", aber "richtig" war der Mord an den Juden keineswegs, sondern Verbrechen ekelhaftester Art.
Der Holocaust ist zum Politikum geworden, weil Juden eben nicht bloß "umgekommen" sind, wie du es formulierst, sondern massenweise und vorbereitet/begründet mit rassistischen Unterstellungen ermordet wurden.
Zwar mag sein, dass du einfach nur leichtsinnig Begriffe verwendest, aber das wird solchem Thema nicht gerecht und lässt dann auch auf allgemeinere Defizite und/oder rechtsextremistische Provokation schließen.
Allerdings begegnet uns insbesondere die Falschverwendung des Adjektivs "richtig" anstelle von "zutreffend" nahezu täglich in politischen Sendungen/Nachrichten begegnet, ohne dass es Rechtsextremisten wären. Das ist Geistverflachung und keine Liebe zur Richtigkeit. Die müsste auch nicht in allem sein, aber es ist mit der Richtigkeit im Politischen wie mit der Vorsicht, dass wer eine Steilwand erklimmt, mehr aufpassen muss als wenn er sich im Bette dreht. Es gibt genügend politische Themen, bei denen es auf kaum etwas ankommt. Anders beim Holocaust.
Das Holocaust-Mahnmal[/b] betreffend wandelte sich meine Ansicht erst mit der Fertigstellung. Es kam eben anders, wie so vieles in der Welt und im Leben oder mit den eigenen Kindern, mal schlechter, mal besser - und oft gut, dass nicht alles nach meinen Vorstellungen kommt. Mit dem realisierten Konzept galt es sich abzufinden, wobei ich und viele, viele Berliner und Touristen ganz gut oder gar bestens damit klar kommen.
Die Kosten betreffend, die du für überhöht hältst - und kennst die Buchhaltung vermutlich so wenig wie ich, müsste dich beruhigen, dass dieses Mahnmal wie die Reichstagskuppel ein "Publikumsmagnet" wurde. Und ohne solche Magnete wäre vielen Leuten der Spruch "Berlin ist eine Reise wert" unstimmig.
Dein "Warum immer noch ...?"
1. Weil es nicht lange her ist, denn meine Eltern erlebten es.
2. Weil es "noch immer" Idioten gibt, die vergessen machen möchten, was Erinnerung und Mahnung braucht.
3. WEIL ES GESCHICHTE IST. Und zwar Geschichte unseres Landes. Allemal aktueller und zu uns gehörend als die schöne Nofretete auf der Berliner Museumsinsel.
Dein "ständige Gedenken" ... "auf allen Sendern" ... "im Widerspruch zur Versöhnung" ?
Du stellst dir offenbar vor, dass ich ständig an den Holocaust denke oder du daran denken sollst. Weit gefehlt. Schaue dir an, zu welchen Themen ich in den anderen Bereichen schreibe - und mein Leben hat sicherlich noch einige Themen mehr - und dein Leben hoffentlich auch.
"Auf allen Sendern" gibt es das allenfalls bei aktuellen Großkatastrophen (Fukushima oder der 11.9.), aber zum Holocaust habe ich "auf allen Sendern" noch nicht erlebt. Dabei ist klar, dass wenn ich nach einem anstrengenden oder auch lustigen Tag vor dem Fernseher lande, nicht unbedingt eine Holocaust-Dokumentation brauchen kann. Aber wenn dann doch z.B. bei Phönix, weil mich auf ARD und ZDF oft gleichzeitige Quizsendungen nerven, dann "darf es schon mal auch Hitler oder Holocaust" sein, wenn ich die Doku nicht bereits kenne.
Ich kenne keinen Antifaschisten, der süchtig nach NS-Dokus wäre, denn im Gegenteil kommt mir eher die Kotze hoch, weil ich nun mal im Hinterkopf habe, dass es in Gleichzeit zur Judenverfolgung viel "Normalität" im Lande gab, dass "passieren" bzw. verbrochen werden konnte in Gegenwart von vielen gescheiten Menschen, die diesem Nazi-Gelumpe politisch zu wenig entgegenzusetzen hatten oder gar die Systeme und "Wunderwaffen" bastelten.
Die versagenden Eliten. Das ist ein zugleich ganz allgemeines, epochenübergreifendes Problem, wenn heute nicht genug über erforderliche Lösungen nachgedacht wird und der Intellekt sich nur der eigenen Rente widmet. Viele haben keinen Spaß an Problemlösungen, keinen Spaß an vernünftigen Auseinandersetzungen. Zu viel Spaß an Ablenkung, für die immer mehr Aufwand getrieben werden muss, je tiefer jemandem die Sinnkrise ist.
"Im Widerspruch zur Versöhnung" steht ein Gedenken entgegen deiner Vermutung nur dann, wenn die kritische Auseinandersetzung mit Verbrechen vernachlässigt würde, wie es beispielsweise bei uns in Deutschland jahrzehntelang mit dem Holocaust an Sinti und Roma passierte und auch mit dem Holocaust an den Juden erst in den Siebzigern den gebührenden Umfang annahm. Im Widerspruch zur Versöhnung steht, wenn schon das bloße Benennen der Verbrechen strafbar ist, wie lange Zeit und vereinzelt auch heute noch in der Türkei im Hinblick auf den Völkermord an den Armeniern.
Hätte Deutschland die Opfer des Nationalsozialismus in der Trauer und im Gedenken allein gelassen, hätte keine Versöhnung stattgefunden. Die Unversöhnlichen hätten das Sagen. Und Deutschland hätte sich nicht vom Nationalsozialismus emanzipiert, hätte nicht in die Völkergemeinschaft gefunden - und wäre wohl auch nicht zu dem Wohlstand gekommen.
Rechtsextremismus und Antisemitismus beruhen zumindest in Deutschland nur ausnahmsweise auf Bildungslücken, denn dafür gibt es tatsächlich genug Aufklärung, sondern sind Probleme der charakterlichen Hygiene.
Beim Gedenken an den Holocaust kann es nicht ausschließlich um Versöhnung gehen, sondern es ist auch moralische Reinigung, die allerdings typischerweise von denjenigen am meisten verabscheut wird, die es am nötigsten hätten.
Deine anderen zwei Themen kommen bei Lust und Gelegenheit in den dazu passenden Bereichen von www.Diskussionen.de zur Sprache.
Grüße aus Berlin!