Kritik an Huntingtons "Clash of Civilizations"

Konflikte zu begründen oder zu schüren, lässt sich aus den kleinsten Differenzen pressen, während es für die Erklärung von Konflikten darauf ankommt, die Interessen und Kräfte zu erkennen und zu fördern, mit denen sich Interessenwidersprüche überwinden lassen.
Der einfachste Ansatzpunkt für die Austragung und Deeskalation weltanschaulicher Widersprüche, ob nun nationaler, religiöser oder sonstig kultureller und wirtschaftlicher Art, ist zunächst mal die Suche nach dem guten Willen, wie er jeder Horde typischerweise Selbstdeutung ist und somit kleinster, gemeinsamer Nenner, auf dem sich aufbauen lässt.

Wer hingegen die eigene Kultur zu geopolitischen Machtdemonstration aufruft, wie es auf allen Seiten die Scharfmacher tun, ohne die Macht im kulturellen Konflikt durch den kulturellen Diskurs und die Übereinkunft zu legitimieren, wird auch mit den uns fraglosesten Werten den jeweils anderen Konfliktparteien als Despot oder Terrorist und als Kulturchauvinist erscheinen.

-msr-20081230   >> Diskussion


http://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Phillips_Huntington (Stand 20081230):

Samuel Phillips Huntington (* 18. April 1927 in New York City; † 24. Dezember 2008 auf Martha’s Vineyard, Massachusetts) war ein US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Autor. Huntington lehrte am John M. Olin Institute for Strategic Studies der Harvard-Universität in Cambridge. Er war Berater des US-Außenministeriums.

Huntingtons Thesen

In seinem kontrovers diskutierten Buch The Clash of Civilizations (Kampf der Kulturen, 1996) wendet sich Huntington gegen die Vorstellung einer universellen Weltkultur, wie sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 und dem Ende des Kalten Krieges unter anderem von Francis Fukuyama vertreten wurde. Erstmals erschienen Huntingtons Thesen im Sommer 1993 in der renommierten Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik „Foreign Affairs“.

Vielmehr geht der Politologe Huntington von einer Verlagerung des Konfliktes zwischen Ideologien, welche die nationalstaatlich verfassten Bündnisse geprägt hatten, zu einem Konflikt zwischen Zivilisationen aus, weil diese bei der Eindämmung der westlichen Dominanz mit ihrer Geschichte, ihren Sprachen, ihren Wertvorstellungen und ihren Religionen die höchste sinnstiftende Einheit geworden seien.

Unterschieden werden in der Regel acht, bisweilen neun Zivilisationen. Drei davon seien aufstrebend: jene der Hindu, der Sini und des Islam. Sie führten dazu, dass die Geopolitik multipolar werde, und es wird erwartet, dass die westliche Zivilisation dabei herausgefordert werde. Diese habe zu lange die fehlgeleitete, arrogante, falsche und gefährliche Auffassung vertreten, die ökonomische Modernisierung bringe gleichzeitig auch den Durchbruch westlicher Werte mit sich. Statt eine Politik der Menschenrechte fordert Huntington eine Geopolitik der Macht, angeführt von den Vereinigten Staaten. Huntington regt zudem die Stärkung der westlichen Identität nach außen und innen an.

Samuel Huntingtons Prognosen basieren vor allem auf den im Rahmen der Globalisierung auftretenden, weltweit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Zu den Befürwortern Huntingtons zählt auch Bassam Tibi, der dessen Theorie des „Clash of Civilizations“ in einer eigenen Auslegung vertritt.

Kontrovers aufgenommen wurde Huntingtons aktuelles Buch „Who Are We. The Challenges to America’s National Identity“ (2004). Hier kehrt er seine These des Konflikts der „Zivilisationen“ nach innen und betrachtet die verschiedenen Kulturen in den Vereinigten Staaten. Besonders die lateinamerikanische (explizit die mexikanische) Zuwanderung hält er für bedenklich und propagiert eine Rückwendung zu den anglo-protestantischen Werten der ersten europäischen Siedler; in jenen sieht er die wahre nationale Identität der Vereinigten Staaten verkörpert. Dies wurde besonders von lateinamerikanischen Organisationen und linksliberalen Intellektuellen heftig kritisiert. Als mögliches Zukunftsszenario beschreibt Huntington eine Entwicklung der USA hin zu einer zweisprachigen und bi-kulturellen Gesellschaft, in der Latinos in einigen Staaten die dominierende Rolle einnehmen und Angloamerikaner in andere Staaten ausweichen.

Vor seinen Zivilisationsbetrachtungen war Huntington auch als ein führender Vertreter der Modernisierungstheorien beziehungsweise als Demokratieforscher in Erscheinung getreten.

Kurzkritik

Die These Huntingtons gilt, vor allem in den Vereinigten Staaten, als sehr einflussreich, aber auch umstritten. Zu den bekannten deutschen Kritikern von Huntingtons Theorie zählen Harald Müller und Gazi Çağlar. Amartya Sen argumentiert, dass Huntingtons Theorie unter den vielen Aspekten, welche die Identität eines Menschen ausmachen, der kulturellen Zugehörigkeit zu großes Gewicht beimesse. 2007 erschien die „Kampfabsage“ zu Huntingtons Kampf der Kulturen von Ilija Trojanow und Ranjit Hoskote. Die Autoren stellen die holistische Gegenthese auf: Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen ineinander.

Kritik an Huntingtons Thesen kommt auch aus Frankreich (vor allem aus der Zeitschrift „Le monde diplomatique“): Seine Analyse stelle vor allem eine theoretische Legitimation der von den USA gegen China und die islamische Welt geführte Interessenpolitik dar.

Ausführliche Kritik

Schon vor Jahren bestritt Prof. Fred Halliday von der renommierten „London School of Economics“ in seinem Buch „Islam and the Myth of Confrontation“ die Thesen von Samuel Huntington. Seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, so führt er vor, verfüge kein muslimisches Land über eine dermaßen starke Armee, dass es den Westen bedrohen könnte. Die vereinten Streitkräfte der islamischen Länder – für den unwahrscheinlichen Fall eines gemeinsamen Handelns – seien den westlichen Streitkräften bei weitem unterlegen. Inzwischen haben viele führende Wissenschaftler und Kulturkritiker Huntingtons Thesen als unzulässig verfälschend angegriffen.

Der indisch-amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Prof. Amartya Sen kritisiert die Festlegung des Menschen auf Religion und Kultur („Wir“ und die „Anderen“) und bemängelte Huntingtons eindimensionale Fixierung auf kulturelle Identität („Identität kann töten“). Wenn die Beziehungen zwischen menschlichen Individuen auf einen „Krieg der Kulturen“ reduziert würden, dann schnappe die „Identitätsfalle“ zu. Das Geschäft der Fundamentalisten bestehe in dieser Miniaturisierung menschlicher Existenz, mit der alle Ideologie der Gewalt ihren Anfang nehme. Amartya Sen zeigt auch, wie die Spirale aus Identität und Gewalt durchbrochen werden kann. Denn niemand sei zu einer einzigen Identität verdammt, jeder könne seine Persönlichkeit gestalten und mitbestimmen. Die Welt könne sich ebenso in Richtung Frieden bewegen, wie sie jetzt auf Gewalt und Krieg hinzusteuern scheint.

Der Kulturkritiker Ranjit Hoskote und der Schriftsteller Ilija Trojanow bestreiten ebenfalls die Thesen des „Kampfs beziehungsweise Zusammenpralls der Kulturen“. In ihrem Buch „Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen“ richten sie ihre Kritik gegen eine in Nordamerika und Westeuropa weit verbreitete Auffassung, wonach Kulturen in unüberbrückbarer Abgrenzung von anderen Kulturen über einen unveränderlichen Kern verfügten. Dies, so die Autoren, seien aber nur historische Mythen, denn der Austausch in Kunst, Philosophie oder Wirtschaft führte erst zur Entwicklung der westeuropäischen Gesellschaften hin zu ihrem jetzigen Stand. Anhand von einfachen Alltagsphänomenen in Esskultur, Kunst, Musik, Mode, Architektur und Technologie legen sie dar, dass es immer eine Annäherung oder Durchmischung der Kulturen gegeben habe.

In deutscher Sprache wurde die Auseinandersetzung um Huntingtons Thesen zum „Kampf der Kulturen“ von Udo Metzinger ausführlich nachgezeichnet. ... mehr a.a.O.

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