Lapsus
linguae oder Privileganmaßung?
Ministerpräsident Olmert erklärte gegenüber N24: "Iran
droht öffentlich und ausdrücklich, Israel von der Landkarte
zu radieren. Können Sie sagen, dass es die gleiche Grundlage
ist, wenn es um deren Wunsch nach Atomwaffen geht, wie bei
Amerika, Frankreich, Israel und Russland?"
Israels Opposition fordert mal wieder den Rücktritt Olmerts,
aber nicht etwa, um die damit überfällige Atom-Abrüstung
einzuleiten, sondern um weiterhin die Welt im Unklaren zu
belassen, ob Israel nun Atomwaffen hat oder nicht, denn
eigener Atomwaffenbesitz erschwert den Widerstand gegen die
zwar dementierten, aber dennoch wahrscheinlichen
Atombewaffnungspläne des Iran.
Olmert und Israels Botschafter in Berlin, Shimon Stein, suchen
nun den Rückzug in die alte Sprachregelung: "Israel
wird nicht das erste Land im Nahen Osten sein, das Atomwaffen
einführen wird."
Nimmt man diese Aussage wörtlich, so lässt ihre Zukünftigkeit
("einführen wird") einzig den Schluss zu, dass in
der Vergangenheit und Gegenwart Israel KEINE Atomwaffen besaß
und besitzt.
Demgegenüber nahm erst unlängst der neue
US-Verteidigungsminister Gates auf israelischen
Atomwaffenbesitz Bezug.
Also wird die Weltöffentlichkeit entweder vom US-Außenminister
Gates oder der israelischen Regierung belogen, denn beide
Seiten sollten wissen, wovon sie reden.
Mir ist die israelische Atomwaffenlosigkeit unglaubhaft, aber
zumindest steht fest, dass sich der entstandene Widerspruch
zwischen den Administrationen Tel Avivs und Washingtons nicht
auf dem Wege der bisherigen "Sprachregelungen"
wegbiegen lässt. Stattdessen müsste die israelische
Regierung fortan bekunden: "Wir
sagen nicht, ob wir Atomwaffen besitzen."
Will sich jedoch Israel das Recht anmaßen, solche Auskünfte
zu verweigern, dann verwirkt sich dadurch Israels Recht, von
anderen Staaten nachweislichen Atomwaffenverzicht zu
verlangen.
Sollte diese Wirkung jetzt noch immer nicht bewusst werden und
Israel auch dafür Rückendeckung anderer Staaten bekommen,
dann spielt das den offen und verdeckt nach Atomwaffen
strebenden Regimes noch mehr in die Hände, als es durch die
Kritiklosigkeit an den existierenden Atomwaffengroßmächten
ohnehin geschieht.
Sind Merkel, Olmert, Bush, Blair & Co. tatsächlich im
Glauben, dass sie mit solcher Politik die Welt für Israel und
demokratische Überzeugungen begeistern können?
Das wäre ein Trugschluss, aber auch an den glaube ich nicht,
denn es ist zu offensichtlich eine bewusste Zumutung
machtpolitischer Arroganz.
Die einzig vernünftige und erste Schlussfolgerung kann nur
sein, dass Israel unmissverständlich und auf regionale
Gegenseitigkeit begründend, den dauerhaften Verzicht auf
Atomwaffen zum Ziel erklärt und darüber in Verhandlungen
tritt, wie eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten durch Rüstungskontrolle
verifiziert wird.
Auf solche Schlussfolgerung hätte Merkel drängen müssen.
Stattdessen wurde milde gelächelt und nichts getan, was gegen
ein atomares Desaster taugt, zu dem es ganz sicher kommen
wird, wenn nicht die Wende in eine atomwaffenfreie Zukunft
gelingt.
Grüße von Sven
200612 >> Diskussion |