Sehr geehrter Herr S.,ich kann leider nur einmal antworten, so sehr mir wie Ihnen das Thema auch liegt, aber die tagespolitischen Anforderungen lassen für das Schreiben von Büchern keine Zeit.Wer "Jude" ist, mag sich für Sie aus der Bibel ergeben, aber die Bibel hat nur Maßgeblichkeit für jene, die daran glauben.
Die Bibel ist Religion und die Religion ist Weltanschauung.
Es fehlt dieser Weltanschauung nicht an Konkurrenz. So fehlt es auch biblischer Definitorik nicht an Konkurrenz.
Wer "Jude" ist, steht im Streit der Ideologien.Die Nazis glauben nicht an Thora, Bibel, "auserwähltes Volk", aber im Punkt des Judentums nehmen die Nazis die Bibel "beim Wort".
Diese Methode selektiver Erkenntnisbemühung aus biblischen Schriften ist1. politisch "nachvollziehbar",2. moralisch perfide und3. erkenntnistheoretisch absurd.Für mich besteht kein Zweifel: Das Judentum ist eine Weltreligion unter vielen. Und jeder kann "Jude" werden wie "Katholik" oder "Moslem".Aber auch meine Meinung ist nur "Weltanschauung" und steht damit in entsprechender Konkurrenz. Darum halte ich es mit fremden Weltanschauungen wie folgt: Zum Katholizismus spreche ich vor allem mit Katholiken. Und besser mit fünf Katholiken als nur mit einem. So auch mit Juden - und erkenne die Vielfalt des ideologischen Seins.Ein anderes Moment Ihrer Zuschrift betrifft den "Sowjetmenschen" und Sie folgern Ihre Schlüsse aus dem Erleben. Das ist schon berechtigt und besser als reine Fiktion.Dennoch bleibt einzuwenden, daß der "Sowjetmensch" kaum mehr war als die Lüge eines hegemonistischen Systems.Sie lebten dort. Und ich oft genug. Die bittere Wahrheit ist, daß viele "Sowjetmensch"-Propagandisten sich kaum unterschieden von Rassisten.
Sie können diese These durch folgende Frage prüfen: Wollte das "Sowjetsystem" wirklich die Gleichberechtigung der Völker? -Sicherlich nicht. Zu tief saß das Vorurteil. Zu unfrei(willig) war die "Gemeinschaft".Deshalb taugt das "Sowjetsystem" nicht als Vorbild für den Frieden der Völker und nicht als Beleg für die Unvermeidbarkeit des Streits.Ihr Begriff des "Volkes" hat vieles mit meinem Begriff gemeinsam, aber Ihrem Begriff fehlt die Dynamik, fehlen die Divergenzen und Konvergenzen. Die relative Statik der ethnischen Gemeinschaft ist nur ein Aspekt unter vielen.Sie schreiben zurecht, daß der "Stempel" die ethnische Zugehörigkeit nicht zu verändern vermag. Aber "Stempel" können je nach Inhalt zur Teilhabe berechtigen - solche fördern Konvergenz. Andere "Stempel" stehen dagegen. Also machen wir bitte aus "Stempeln" nicht mehr, als sie jeweils sind.Herzlich Dank für Ihre Zuschrift. Sobald (anonymisiert) veröffentlich wird, geben wir Ihnen den Standort bekannt.Mit freundlichen GrüßenSven Redaktion-----Ursprüngliche Nachricht-----Von: Walter S. <An: <......................>Gesendet: Freitag, 6. Oktober 2000 04:52>
> Guten Tag Johnny M.
>
> Ich möchte hiermit einigen Ansichten widersprechen, die Du gegenüber Roman
> geäußert hast. Vorab aber zwei Bitten an Dich. 1. Veröffentliche
> die mail bitte, gerne auch mit Deinem Kommentar, aber ich wäre enttäuscht,
> wenn Du Widersprüche, die nicht auf blinden Haß hinauslaufen,
> unterschlagen
> würdest. 2. So wie Du Dir mit "Johnny M." eine gewisse Anonymität
> schaffst,
> möchte ich Dich bitten, diese Mail unter meinem Nick "Widu" zu
> veröffentlichen, auch wenn der Höflichkeit halber im Kopf der mail mein voller Name
> genanntist (Hab' auch weniger gute Erfahrungen mit der "Meinungsfreiheit").
>
> Du schreibst in Deiner Antwort:
> >>Dann bin ich bestimmt ein "Vollzigeuner"? :-)) Naja, zumindest enstamme
> ich dem Volk der Sinti. Hingegen ist das Wort "Halbjude" ist problematisch,
> weil es an rassistische Sortierungen anknüpft. Das Blut entscheidet nicht
> über das "Jude-Sein". Entweder ich habe den jüdischen Glauben, dann bin ich
> "Jude" oder ich habe keinen "jüdischen Glauben", dann bin ich kein Jude.<<
> Zitat Ende.
>
> Ja, Du bist ein Vollzigeuner. Egal welche Staatsbürgerschafft Du hast.
> Ethnisch gehörst Du zum Volk der Zigeuner, und ich verstehe das :-)) nicht.
> Die Zigeuner sind ebenso wie die Juden, tatsächlich ein "Volk, ganz ohne
> Raum" (ich weiß Terminologie, die an Hans Grimm erinnert), das immer auf die
> Gastfreundschaft eines anderen Vokes angewiesen war. Ein Volk, ganz ohne
> Raum sind auch die Kurden. Auch sie verteilen sich auf mehrere Staaten. Es
> gibt weder eine jüdische, zigeunerische, noch eine kurdische
> Staatsbürgerschaft, aber alle sind sie Völker, ethnische Gemeinschaften, die stolz auf
> ihre Ethnie sein können, nein müssen (alles andere wäre Verrat).
> Um eines vorne weg zu sagen: Ich bin Deutscher. Volldeutscher. Schon immer
> Volldeutscher gewesen. Allerdings hat meine Familie lange Zeit keinen
> Deutschen Paß gehabt. Die Staatsbürgerschaft nannte sich "Sowjetisch". Aber
> "sowjetische" hat es nie gegeben. Alle ihre Einwohner der SU waren Russen,
> Deutsche, Juden, Ukrainer, auch Zigeuner. Mit oder ohne entsprechenden
> Paß. Es sind nämlich alles ethnische Gemeinschaften. Auch wenn das Regime immer
> einreden wollte, daß nur diejenigen Türken sind, die einen türkischen Paß
> haben. Hat dies die muslimischen Osttürken interessiert? Nein.
>
> Das kommunistische System teilte die Menschen ein, wie es eine Maschine
> mit Schrauben tut: Wo werden welche gebraucht? Aha dort. Also drauf mit
> dem Paßstempel, da gehörst Du jetzt hin. Aber die Menschen richteten ihre
> Identität nicht nach dem Regime und seinen Stempeln aus. Es gab auch Menschen,
> die ohne nationale Identität aufgewachsen waren. Diese Menschen suchten ihre
> Identität, und wenn sie sich einer Identität angeschlossen hatten, vertraten
> sie diese mit umso stärkerem Nationalismus. Das Regime achtete die
> Identität der Menschen genauso wenig, wie es die heutigen "Linken", mit der
> Identität der Deutschen tun. Die Folge in der Sowjetunion: Schau nach
> Tschetschenien, nach Dagestan. Aber nicht nur dorthin, wo sich die Politik wegen der
> Ölvorkommen für das Land interessiert. Weißt Du welcher Haß zwischen vielen
> Völkern der SU herrscht, weil das System 70 Jahre lang, den Menschen ihre
> ethnische Identität nahm? Paß her, Stempel drauf, Ende!
>
> Vielleicht verstehst Du jetzt, warum ich Dir sage, daß Du auf Deine
> Zigeuner-Ethnie stolz sein mußt. Selbst dann, wenn Dein Volk wirklich aus
> Dieben bestehen sollte, wie es die Feinde Deines Volkes sagen.
>
> Sei Deinem Volk ein kritischer Freund, aber bekenne Dich klar zu ihm. Sage
> Deinen Kindern, daß sie aus dem Volk der Zigeuner stammen. Gebe ihnen
> möglichst viel Positives aus der Tradition der Zigeuner mit, damit sie
> sich
> positiv damit identifizieren können: z.B. die Hilfsbereitschaft oder die
> musikalischen Besonderheiten der Zigeunerkultur. Wir müssen unseren
> Kindern eine positive nationale Identität geben. Sonst suchen sie sich ihre
> Identität, in den negativen Klischees. Bei den Zigeunern ist es das Stehlen, bei
> den Deutschen der Militarismus.
>
> Und was die Juden angeht. Hier hat die Wissenschaft einen schlimmen Fehler
> gemacht: Sie benutzte für das VOLK (ethnische Gemeinschaft) der Juden, den
> gleichen Ausdruck, wie für die Religion, was die Wurzel für allerlei
> Mißverständnisse war. Du glaubst in Deiner Antwort, es gäbe kein jüdisches
> Volk, das Judentum wäre nur eine Religion,... Das ist falsch. In der Bibel
> ist eindeutig von den Juden, als einem VOLK die Rede. Selbst dann, als die
> Juden ihren Gott wechselten und das goldene Kalb anbeteten, blieben sie der
> Bibel nach Juden. Hmm, wie paßt das in Deine Theorie? Ich will es Dir sagen.
>
> Es gibt einerseits die Juden als Volk, ich werde sie fortan semito-Juden
> nennen. Diese sind ein Teil der hamito-semitischen Sprachgruppe. Diese
> besteht aus den Völkern der Babylonier, Phöniker, semito-Juden und Araber.
> Da in der Antike jedes Volk seine eigene Religion hatte, gab es eine
> römische Religion, eine griechische, eine germanische und logischerweise auch eine
> semito-jüdische Religion. Mit dem Aufkommen des Christentums, das gemäß
> Jesus' Auftrag besonders unter den Juden missionierte (Matthäus 15) bekam die
> semito-jüdische Religion - ich nenne sie hier das Religionsjudentum - eine
> Konkurrenz. Die Beziehungen zwischen Juden und Christen waren nicht die
> Besten, was auf Gegenseitigkeit beruhte (siehe auch entsprechende Äußerungen über
> Jesus im Talmud). Aber dies war ein Religionsstreit, der sich vor allem
> innerhalb EINES VOLKES abspielte. Dabei liegt es in der Logik der Sache, daß der
> Christ dem Glaubensjuden eine Lüge, oder zumindest einen Irrtum
> unterstellen muß, da er im Gegensatz zum Religionsjuden, Jesus für den Messias hält.
> Ebenso muß der Religionsjude dem Christen entweder Lüge oder wenigstens Irrtum
> unterstellen, weil er hier anderer Meinung ist. Daß sich dieser Logik
> zufolge sowohl freundschaftliche Dialoge, als auch purer Haß entwickelten - es
> waren halt alles Menschen.
>
> Völliger Unsinn ist es dagegen, wenn man Personen wie Martin Luther
> Antisemitismus unterstellt. Wer das tut, der unterscheidet nicht zwischen
> einer Gesinnung einerseits, dem Religionsjudentum, etwas das jeder Mensch
> des jüdischen Volkes ablegen kann, ohne dabei sein semito-Judentum zu
> verlieren (so wie auch jeder Deutsche Christus statt Wotan anbeten kann, ohne dabei
> sein Deutschtum zu verlieren),und dem semito-Judentum, einer Ethnie
> andererseits. Nur der Haß gegen das ethnische, das semito-Judentum, ist der sog.
> Antisemitismus. Denn er richtet sich gegen die semitische Herkunft eines
> Menschen. Der Gegner der jüdischen Religion (z.B. Luther), ist kein Antisemit.
> Denn er richtet sich nicht gegen die Herkunft eines Menschen, sondern nur gegen
> seine Gesinnung. Ich kann ja auch gegen die in Kuba offiziell
> vorherrschende Gesinnung sein, ohne deshalb die Kubaner zu hassen.
>
> Nun zum Schluß: das Religionsjudentum ist eine (religiöse)Gesinnung. Das
> Semito-Judentum ist dagegen eine Ethnie, unter der das Religionsjudentum
> lediglich stark verbreitet ist. Die Glecihsetzung von Religionsjudentum
> und semito-Judentum, wäre genauso falsch, als würde man die SPD mit
> Deutschland gleichsetzen - oder noch schlimmer - einen Haß auf die SPD, als
> Antigermanismus bezeichen.
>
> Ist jetzt zwar ein Bißchen lang geworden, und ich weiß jetzt nicht, ob Du
> den Brief wirklich in dieser Länge veröffentlichen willst, aber vielleicht
> überlegst Du Dir den Inhalt und gibst mir Antwort.
>
> Mit freundlich-stolzen Grüßen, an einen (hoffentlich) ebenso
> freundlich-stolzen Zigeuner, Widu
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Walter S. <............>
An: <...............de>
Gesendet: Freitag, 6. Oktober 2000 03:55
Betreff: Begriff Halbjude
> Ach ja, Lieber Johnny M.,
>
> Eins hätte ich in meiner letzten Mail noch fast vergessen: Das Wort "Halbjude"
> gab es schon lange vor den Nürnberger Gesetzen, da es die Juden als
> ethnische Gemeinschaft schon sehr viel länger gibt. In der zionistischen
> Bewegung des 19./20. Jahrhunderts, ist dieses Wort übrigens häufig verwendet
> worden (Demnach ebenso wie "Arier" keine rassistische, sondern wirklich
> wissenschaftliche Wortschöpfung). Allerdings mit dem Unterschied, daß sich das
> wissenschaftliche Wort für Arier auf eine Frühantike Volksgruppe in Indien und dem
> Iran bezieht, die nordische Rassenmerkmale aufwies und der Sprache nach mit
> den Germanen verwandt sein muß.
>
> Mit logischerweise ungarischen (nichtindischen) Grüßen :-) Widu
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