Mauerfall vor 20 Jahren
1989 ging ich noch
zur Schule. Wurde morgens von Mama geweckt mit der Information, die Mauer sei
offen. Meine Prioritäten waren damals aber andere: Hatte noch keine Vokabeln
gelernt, daher war der Gang der Weltgeschichte erstmal nicht so wichtig.
Ich erinnere mich dunkel an die ersten Exkursionen Richtung Mauer, es war ein
sehr kalter Winter, der Kuhdamm überfüllt, die Stadt außer Rand und Band.
Einmal war ich mit Hammer und Meißel bewaffnet unter den
"Mauerspechten" und war überrascht, wie hart Beton ist. Kurz darauf
kamen Grenzpolizisten vorbei und haben das Werkzeug eingesammelt. Man wollte
wohl wenigstens hier und da die Entwicklung noch ein bisschen kontrollieren.
Neben allem Tagesgeschehen ist mir im Rückblick vor allem der Kontrast zwischen
der Zeit vor und nach der Maueröffnung in Erinnerung geblieben. Das Berlin der
späten Achtziger Jahre war ja eine recht beschauliche Veranstaltung, vom Bund
gut alimentiert, längst nicht mehr Frontstadt, sondern eher in eine historische
Windstille abgetrieben. Busspuren, Fahrradwege und Tempo 30-Zonen waren die
bewegenden politischen Themen, die, angetrieben durch den neuen rot-grünen
Senat, die Berliner umgetrieben haben. Kreuzberg war ein Bezirk am Rande der
Welt: Verkehrsberuhigt, im Schatten der Mauer sein beschauliches Dasein
fristend.
Mit dieser Ruhe war es im November 1989 schlagartig vorbei. Ich hab das auch ein
bisschen bedauert. In den nächsten Jahren haben eine Hektik und ein nervöses
Treiben in Berlin Einzug gehalten, die den Charakter der Stadt grundlegend verändert
haben. Zur deutschen Teilung hatte ich nie ein sonderlich emotionales Verhältnis,
weil ich mit der Situation, immer irgendwo auf eine Mauer zu stoßen,
aufgewachsen bin. Das schien alles Ewigkeitswert zu haben.
Das wirklich Spannende an der Maueröffnung waren denn auch weniger die
Auswirkungen auf den alten Westen, sondern vielmehr die Exkursionen in den
Ostteil der Stadt, der trotz seiner Nähe immer mehr oder weniger unzugänglich
geblieben ist. Diese graue Tristesse der sozialistischen Welt, die sich heute
kein zugezogener Badener im Prenzlauer Berg mehr vorstellen kann, war neben
ihrem bedrückenden Charakter auch faszinierend.
martin 9.11.2009 Foren-Posting
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