NS-Film Der Untergang
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Der Untergang |
BRD 2004 Geschichtsdrama |
Regie
|
Oliver Hirschbiegel |
Drehbuch
|
Bernd Eichinger |
Besetzung: |
Bruno Ganz als
Hitler,
Ulrich Matthes als Goebbels, |
|
Christian Berkel,
Corinna Harfouch,
Heino Herch, Juliane Köhler,
Thomas Kretschmann,
Alexandra Maria Lara,
Michael Mendl,
Ulrich Noethen, ... |
Spielzeit
|
150 Minuten |
Kinostart
|
16.09.2004 |
Trailer
|
www.deruntergang-special.film.de |
|
Der
Untergang bzw.
Kapitulation
Impossible
Samstag waren wir drin, mein Weib, meine Erwartung
nach Lektüre von von kontroversen Kritiken und acht Euro ausnahmsweise nicht
zuviel.
Schauspielerisch klasse, passagenweise etwas zu sehr Steven Spielberg, also an
Zumutbarkeitsgrenzen realistisch, aber so, dass auch den blödesten Idioten die
Schwärmerei für Krieg und Soldatisches vergehen müsste. Folglich kein Film für
Faschos, die Faschos bleiben wollen.
Die Bilder im kämpfenden und verreckenden Berlin kontrastieren mit den
Illusionen, denen sich Hitler, Goebbels und die Leute im "Führerbunker"
mit zunehmender Verzweiflung hingeben. Und das ist schon das "Eigene"
dieses Films, was viele Kritiken m.E. falsch auf den Aspekt reduzieren, dass
"Hitler nicht als Monster" dargestellt wird.
Richtig. Der Film bringt Hitler weder "zu sehr" noch
"endlich" als Menschen, denn solche Selbstverständlichkeit kann
ohnehin nur derjenige anzweifeln, der selbst zu abwegigen Geschichtserklärungen
greift und mit Dämonisierungen Wasser auf die Räder von Mythosbastlern gibt.
Hitler, ein Mensch. Und was viele nicht wahrhaben wollen, weil es die bitterste
Erkenntnis ist: Der politische Wahnsinn braucht nur die passende Gelegenheit. -
Kein Genie, keine Dämonen, keinen Ausnahmefall. Sondern ist dem Menschen viel näher,
als ihm lieb sein kann.
Und diese Einsicht macht sich im Bunker breit. Alle wissen, dass es vorbei ist.
Aber es gibt keinen Ausweg mehr. Die Verzweiflung über die totale
Verfahrenheit, in die sich die NS-Clique unter Aufbietung aller
Gewalt-Ressourcen Deutschlands gebracht und sich selbst jeglicher
Entscheidungsalternative beraubt hatte:
"Kapitulation unmöglich" hätte der Filmtitel treffender lauten können.
"Der Untergang" als Titel ist mir zu lau, zu wenig passend, denn wer
"untergeht" und kein Schwein sein will, versucht zu retten, was möglich
ist, vielleicht nicht sich selbst, aber andere.
Doch inhaltlich gelang es dem Film: Auch die kriminellsten Menschen ertragen es
nicht, nichts weiter als miese Schweine zu sein und suchen deshalb die Schuld
bei anderen: Das Volk habe den Untergang selbst gewählt, versagt -
"Kollektivschuld" auf der ganzen Linie.
Und Wahrheit ist ja auch dran, denn Millionen wählten Hitler, obwohl er 1932 in
einer berühmten Rede unter frenetischem Beifall ganz sicher nichtsahnend
richtig prophezeite: "Sie können uns unterdrrrücken, sie können uns
meinetwegen töööten, kapituliiiierren werrrden wir NICHT."
Diesen Satz hätte ich dem ganzen Film vorangestellt, denn es war das
vorhersehbare Schicksal des Nationalsozialismus, den Weg in den Abgrund ohne
Alternative.
Zuletzt die Neuauflage der wirren Dolchstoßlegende, in der sich alles gegen das
vermeintlich Edle verschwört, nicht nur die Juden, die Alliierten, auch die
Generalität, die Nationalsozialismus verraten habe, weil sie nicht stirbt, wo
sie soll und dann die verlogene Wehleidigkeit um die fiktiven Besten, die im
Kampf gefallen seien. Eine Wehleidigkeit Hitlers, die man ihm als Gefreitem im
Lazarett und ohne Überblick von Versailles erfuhr noch abnehmen konnte. Aber
nicht mehr nach Stalingrad.
Dieses Mal würde ohnehin nur überleben, wer sich gedrückt habe. In solcher
Logik braucht es kein Mitleid mit dem verreckenden Volk, dessen Kinder und
Greise als letzte Helden des Regimes in den Straßen Berlins nichts anderes
auszurichten hatten als den Wehrmachtssoldaten das "Schussfeld" unübersichtlich
zu machen und die Brutalität der einrückenden Russen gegenüber der Zivilbevölkerung
zu steigern, denn durch den Kriegseinsatz von Zivilisten ging der Roten Armee
die Unterscheidbarkeit zu den Soldaten verloren. Das machte mir der Film klar
wie nie und die Spuren in der Stadt bis heute.
Berlin hatte keine Chance sich geordnet zu ergeben wie Köln, das Goebbels in
seinen Tagebuchaufzeichnungen am liebsten hätte bombardieren lassen. Auch das hätte
der Film bringen können. Tat er nicht, kam ohne aus, war längst genug im Übermaß.
"Kapitulation unmöglich", denn es gab für sie nach allem kein Exil.
Auch Halunken und Mitläufer können verzweifeln und tun es auf die ihnen geübte
Art: "irrational", aber genau darin "hochplausibel".
Grüße von Sven 15.09.2004
Hallo zusammen!
Also ich habe mir den Film jetzt ganz bewußt schon zweimal angesehen und muß
sagen, dass ich wenige Filme kenne, die mich so betroffen gemacht und beschäftigt
haben wie dieser!
Gerade WEIL in "Der Untergang" auch durchaus menschliche Züge an
Hitler gezeigt werden, finde ich ihn so gut und wichtig!
Denn:
- Ist es nicht viel leichter einen Diktator wie ihn zu verteufeln und vor ihm zu
warnen, wenn man ihn immer nur als Bestie betrachtet?
- Erzeugt nicht gerade diese ausschließliche Darstellung als Bestie bei vielen
- gerade bei jüngeren Menschen - eine Art Trotzreaktion wie "So schlimm
kann der gar nicht gewesen sein! Der war ja auch "nur" ein
Mensch."?
Ich denke, dass man beides klar mit "Ja!" beantworten kann.
NUR: Das wird der Person Adolf Hitler (mit all ihren Auswirkungen) nicht
gerecht!
Ja, Hitler WAR der mörderischste Herrscher, den die Welt je sah und ja, man
kann ihn deshalb auch als Bestie bezeichnen, aber er war trotz allem eben auch
ein MENSCH und sein Aufstieg wurde nur durch das Verhalten seiner Mitmenschen möglich,
das sollten wir nie vergessen..
Nur wer bereit ist zu verstehen, wie ein MENSCH zu dem werden kann, was Hitler
war, kann nach meinem Verständnis auch wirklich effektiv einer möglichen
Wiederholung einer solchen Entwicklung entgegensteuern.
Deshalb nochmal in Kurzform: Dieser Film ist
absolut empfehlenwert!
Gruß, Florian
01.10.2004
Liebe Mitlesende,
Zitat
Sven :
...aber so, dass auch den blödesten Idioten die Schwärmerei
für Krieg und Soldatisches vergehen müsste. Folglich kein Film für
Faschos, die Faschos bleiben wollen. |
Gegenüber dieser Einschätzung bin ich skeptisch.
Ein Freund von mir fühlte sich durch den 'Untergang' an 'Titanic' erinnert. Und
erscheint der Untergang Deutschlands nicht tatsächlich als Naturkatastrophe,
als Unglück, dass über uns hereingebrochen ist? Würde der Film nicht auch
funktionieren, innerhalb eines anderen historischen Kontextes, in dem
Deutschland von der Sowjetunion unverschuldet überfallen wurde?
Und ist es nicht faszinierend zu sehen, wie der Kapitän bis zum Schluss an Bord
bleibt und die Getreuen aufrecht in den Tod gehen?
Wer für Krieg und Soldatisches schwärmt, kann von dem Film begeistert sein:
Die zackige Disziplin, die erstaunlich lange funktioniert, der Ehrenkodex der
Offiziere und die unangefochtene Autorität des Führers - mein These wäre,
dass man den ganzen Film auch in der Gegenrichtung lesen kann.
Spätestens hier erweist es sich dann als Verhängnis, dass der Film sich
sklavisch an die überlieferten Fakten hält und so mutlos auf jede Deutung
verzichtet. Wer als hermeutischer Geisterfahrer unterwegs ist, dem kann man im
Grunde nicht einmal vorwerfen, er habe den Film falsch verstanden. Und dass er
die Geschichte falsch verstanden hat, war schon vor den Film klar. Umgekehrt ist
auch derjenige, der sich im Bewusstsein der Menschenverachtung des NS ins Kino
setzt, hinterher durch nichts bereichert worden. Was man weiss, wusste man auch
schon vorher, hätte es wissen können. Intellektuell anregend ist der
'Untergang' jedenfalls nicht.
Der Film zehrt sehr stark vom der halb apokalytischen, halb sedierten morbiden
Untergangsstimmung, auf deren Evokation es auch das Buch von Fest im Grunde
anlegt. Die Führergestalt, nur noch ein fahler Schatten seiner selbst,
parkinsongeschüttelt, gebeugt und mit dunklen Augensäcken, sabbernd beim
Essen, die Uniform verdreckt - so hat es Fest beschrieben, so lässt der Film
dann ebenfalls den Führer durch die klaustrophobische Enge seines Bunkers
schleichen. Fests These, dass diese todesnahe Erscheinung die Suggestivkraft und
die Autorität nur noch gesteigert hat - auch darin folgt ihm der Film.
Ein morbides Kammerspiel mit einer eigentümlichen und fesselnden Ästhetik, die
ganz auf die Macht der Bilder setzt und hinter der die Dialoge flach bleiben -
so hat der Film auf mich gewirkt. Durchaus faszinierend, vor allem darin, wie
Faktizität in eine filmische Phantasmagorie überführt wird, der man sich überlassen
kann. Aber auch anmaßend, weil der Film vorgaukelt, Erkenntnis sei ein Frage möglichst
authentischer Bildwelten. Darin liegt wahrscheinlich eine Konstante
kinematographischer Selbstüberschätzung.
grüße
martin 01.10.2004
martin
hat folgendes geschrieben: ...
Gegenüber dieser Einschätzung bin ich skeptisch. |
Bin auch ich. Ich hoffe halt immer auf die Restvernunft.
martin
hat folgendes geschrieben: ... Und ist es nicht faszinierend
zu sehen, wie der Kapitän bis zum Schluss an Bord bleibt und die
Getreuen aufrecht in den Tod gehen? |
Nein, der Film zeigt deutlich, dass das Heroen-Bild vom "Kapitän, der als
letzter von Bord geht" auf Hitler nicht zutrifft. Er will seinen
"Passagieren" den Tod und sich selbst der Verantwortung entziehen. Das
ist mit dem tapferen Kapitän unvereinbar.
martin
hat folgendes geschrieben: Wer für Krieg und Soldatisches
schwärmt, kann von dem Film begeistert sein: Die zackige Disziplin, die
erstaunlich lange funktioniert, der Ehrenkodex der Offiziere und die
unangefochtene Autorität des Führers - ... |
Martin, das gab es, das gibt es - man darf/sollte es zeigen - und der Film macht
die Irrsinn eines solchen System deutlich.
martin
hat folgendes geschrieben: ... - meine These wäre, dass man
den ganzen Film auch in der Gegenrichtung lesen kann. |
Was ließe sich nicht in Gegenrichtung lesen? Und wäre dann doch nur Ausdruck
der Unvernunft und Vertrauenslosigkeit in den Intellekt des Menschen. Auch das
bestraft die Geschichte.
Der Film endet mit dem Ausschnitt eines Interviews, in dem die Hitler-Sekretärin
sich selbst anklagt, dass sie den Wahnsinn hätte erkennen müssen. Schon diese
"Klarstellung" fand ich entbehrlich, so gut es inhaltlich war, aber
wie erbärmlich ist dann doch auch, dass es überhaupt solcher Klarstellung bedürfen
soll. Ich hätte es ohne riskiert.
martin
hat folgendes geschrieben: ... Was man weiss, wusste man auch
schon vorher, hätte es wissen können. |
Das ist doch oft so und trotzdem ist es für jeden Menschen zunächst mal nicht
so, denn Geschichtswissen ist ohne genetische Fixierung. Du kannst mit Büchern
Wissen transportieren oder auf der Bühne, Du kannst es mit Kinofilmen
transportieren. - Manchmal ist überdies der Abgleich interessant.
martin
hat folgendes geschrieben: ... Intellektuell anregend ist der
'Untergang' jedenfalls nicht. |
Dem einen ist's, dem anderen nicht. Mancher kommt intellektuell auch ohne die
DEFA-Verfilmung vom "Untertan" aus. Ich glaube, dass Du zu hohe Ansprüche
formulierst, denn Kino heute, so sind wir uns sicherlich einig, ist unglaublich
viel Müll - und "Der Untergang" zählt m.E. zu den lohnenswerten
Filmen.
martin
hat folgendes geschrieben: ... Fests These, dass diese
todesnahe Erscheinung die Suggestivkraft und die Autorität nur noch
gesteigert hat - auch darin folgt ihm der Film. |
Solche Tendenz gibt es, aber "in Gegenrichtung" zu verstehen überwiegt
in diesem Fall eindeutig: Die Autorität Hitlers war weitgehend verschlissen.
Auf ihn kam es im Grunde genommen nicht mehr an, sondern das gesamte Regime
hatte sich in eine Situation totaler Politikunfähigkeit manövriert: alle
Planungen waren nur leidensverlängernder Wahnsinn = "Logik der
Unvernunft", alle Verratsvorwürfe waren absurd. Nichts anderes
transportiert der Film. Fest hin, Fest her.
martin
hat folgendes geschrieben: ... Ein morbides Kammerspiel mit
einer eigentümlichen und fesselnden Ästhetik, die ganz auf die Macht
der Bilder setzt und hinter der die Dialoge flach bleiben - so hat der
Film auf mich gewirkt. |
Und das ist richtig so, denn Besseres gibt es aus dem "Führerbunker"
auch nicht zu berichten. Fatalismus als Rationalisierung des eigenen Versagens
ist die menschentypische Reaktion.
martin
hat folgendes geschrieben: ... Durchaus faszinierend, vor
allem darin, wie Faktizität in eine filmische Phantasmagorie überführt
wird, der man sich überlassen kann. Aber auch anmaßend, weil der Film
vorgaukelt, Erkenntnis sei ein Frage möglichst authentischer
Bildwelten. Darin liegt wahrscheinlich eine Konstante
kinematographischer Selbstüberschätzung. |
Mag es geben, aber solch Vorwurf beispielsweise gegen meine Bemühungen wäre
fies:-), weil ich nicht den Anspruch erhebe, dass sich alles andere erübrige.
Und das tut weder Film noch seine Macher in den mir bekannten Interviews - wobei
"etwas Werbung" schon noch sein darf.
Mir magst Du vorwerfen, dass ich die Wirkungen des Films zu optimistisch
beurteile, aber Du gehst mit ihm zu hart ins Gericht.
Grüße von Sven 04.10.2004
Ich möchte mich Martins Bedenken anschließen, der
m.E. richtig schreibt ...
Zitat
Martin: Wer für Krieg und Soldatisches schwärmt, kann von
dem Film begeistert sein: Die zackige Disziplin, die erstaunlich lange
funktioniert, der Ehrenkodex der Offiziere und die unangefochtene
Autorität des Führers - mein These wäre, dass man den ganzen Film
auch in der Gegenrichtung lesen kann. |
In etwa dieser Gedanke ging auch mir während des ganzen Films durch den Kopf.
Zudem ist ohne historische Kenntnisse der letzten Tage des Dritten Reichs die
Handlung nicht immer verständlich. Die Filmemacher versuchen sich um diese
Klippe zu schiffen, indem sie die naive Sicht der Führer-Sekretärin Traudl
benutzen. Dieser Versuch misslingt jedoch vollkommen durch die letzten Worte der
"alten Original-Traudl", die dem Zuschauer doch ernsthaft erklären
will, sie hätte von all den grausamen Dingen, die ihr Führer-Idol
mitzuveranworten hatte, nichts gewusst!
Da fragt sich der verblüffte Zuschauer, was Hitler ihr mehr als drei Jahre lang
in den Stenoblock diktierte? Hundfutterbestellungen für seine deutsche Schäferhündin?
Pavel 08.10.2004
Hi Sven,
Zitat
Sven: Nein, der Film zeigt deutlich, dass das Heroen-Bild vom
"Kapitän, der als letzter von Bord geht" auf Hitler nicht
zutrifft. Er will seinen "Passagieren" den Tod und sich selbst
der Verantwortung entziehen. Das ist mit dem tapferen Kapitän
unvereinbar. |
Der Witz ist ja, dass der heroische Kapitän überhaupt nicht von Bord, sondern
mit seinem Schiff untergeht. Er ist weniger Heros als Fatalist, der gegenüber
dem Unabwendbaren Haltung zu bewahren sucht. Darin gleicht ihm der Hitler aus
dem Film. Selbstmord als konsequentes Handeln. Andere waren zu feige für den
Selbstmord. Außerdem hätte er Berlin verlassen können.
Das Ende ist im 'Untergang' nicht Befreiung, sondern Weltenbrand und
melancholische Götterdämmerung. Historische Verantwortung ist eine Kategorie,
die man schon gewaltsam von außen hereintragen muss und die geradezu lächerlich
wirkt in der hermetischen Unterwelt ästhetisierter Todes- und
Destruktionssehnsucht. Man denke nur an den Tod, wie er in Form von gläsernen
Zyankali-Kapseln bereitliegt, gebettet in edlen, samtenen Futteralen,
herumgereicht wie eine allerletzte ultimative Droge.
Nun ist es Zeit zu gehen, schade, denn so nahe waren wir der Weltherrschaft und
die Kapelle spielt bis zum Schluss.
Man wird traurig, wenn man das sieht.
Zitat
Sven: Was ließe sich nicht in Gegenrichtung lesen? |
Nun, spontan fällt mir Lubitschs 'Sein oder Nichtsein' ein. 'Zug des Lebens'
ist vielleicht ein ähnlicher Fall. In beiden Fällen ist der Humor
unwiderstehlich, vielleicht das einzig wirksame Antidot gegen totalitäre Ästhetik.
Und in beiden Fällen kann man mehr über den NS und seinen theatralischen
Mummenschanz lernen als wenn man 2 1/2 Stunden sieht, wie der putzige Führer
bierernst Apokalypsenprosa aufsagt.
Es ist eben nicht so, dass jedes Kunstwerk beliebig interpretierbar ist.
Zitat
Sven: Das ist doch oft so und trotzdem ist es für jeden
Menschen zunächst mal nicht so, denn Geschichtswissen ist ohne
genetische Fixierung. Du kannst mit Büchern Wissen transportieren oder
auf der Bühne, Du kannst es mit Kinofilmen transportieren. - Manchmal
ist überdies der Abgleich interessant. ... Martin, das gab es,
das gibt es - man darf/sollte es zeigen - und der Film macht die Irrsinn
eines solchen System deutlich. |
Vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt. Es geht nicht in erster Linie um
Informationstransport. Der Untergang ist kein Dokumentarfilm, sondern ein
Spielfilm und als solcher Kunst. Von einem solchen Produkt erwarte ich einfach
mehr als von einer Guido Knoop-Produktion. Mehr an Perspektiven, an Bedeutung,
an Sinnproduktion.
Sich darauf zu verlassen, dass der 'Gestus des Zeigens' alleine schon eine aufklärerische
Wirkung entfaltet (wenn man eine solche überhaupt anstrebt, was ich alleine
schon problematisch finde, denn immerhin ist das Kino ja keine Bildungsanstalt),
ist naiv. Was 'zeigt' denn Riefenstahls 'Triumph des Willen'? Die einen sehen im
Massenornament den verkörperten Irrsinn der Epoche, die anderen die
unwiderbringliche Schönheit einer vergangenen Zeit. Das sind Fragen der
Rezeptionshaltung.
'Zeigen' ist zu wenig, zu groß ist die Gefahr, dass der Irrsinn selbst
Gegenstand der Faszination wird. Und genau in diese Falle tappt der 'Untergang',
zumindest, wenn man ihn am Maßstab einer aufklärerischen Wirkung misst. Denn
er ist zu sehr aus einem Guss, er hat keine Sollbruchstellen, keine abgründigen
Dialoge, keine Ironie, kein Moment, das das Pathos des inhumanen Wahnsinns
aufzusprengen vermag. Und so bleibt nur der Eindruck einer faszinierenden
Konsequenz, weil der Kontext des totalitären Systems im Grunde unangetastet
bleibt, trotz oder vielleicht gerade wegen der unfassbaren und monströsen
Vernichtungsenergie, die dort entfesselt wurde.
Irgendwie zeigt der Film den NS als unausgesetzten Drogentrip, der mit dem
goldenen Schuss endet: Traumweltlogik, monströs und fremdartig, nicht von
dieser Welt und nicht verstehbar. Das Fremde bleibt fremd, das ist die
eigentliche Tragik.
martin 08.10.2004
Sven an Pavel und Martin
Pavel
hat folgendes geschrieben: Da fragt sich der verblüffte
Zuschauer, was Hitler ihr mehr als drei Jahre lang in den Stenoblock
diktierte? Hundfutterbestellungen für seine deutsche Schäferhündin? |
Genau das dachte auch ich. Und deshalb glaube ich der guten Traudl erst im
letzten Satz, wenn sie in etwa sagt, dass "jung zu sein, keine wirkliche
Ausrede ist".
Martin
hat folgendes geschrieben: (der
mit dem Schiff freiwillig untergehende Kapitän) Er ist weniger
Heros als Fatalist, der gegenüber dem Unabwendbaren Haltung zu bewahren
sucht. Darin gleicht ihm der Hitler aus dem Film. Selbstmord als
konsequentes Handeln. |
Gerade nicht. Der Unterschied ist: Der selbstmörderische Kapitän, General usw.
nimmt sich in die Verantwortung, während Hitler alle Verantwortung delegiert
und sich der Verantwortung durch Selbstmord entzieht.
Wenn Frau Goebbels ihre Kinder mordete, dann mag es ideologieimmanent
"konsequentes Handeln" gewesen sein, denn die Kinder hatten von der
Nachkriegsordnung nichts zu befürchten, aber Hitler ganz anders: die Ideologie
war ihm allenfalls Alibi und zuletzt Wundpflaster für sein verqueres Gewissen,
für seinen Glauben an sich.
Und diesen Restglauben an sich selbst sollte man ihm wahrheitshalber nicht
bestreiten, denn niemand schreibt noch ein "politisches Testament",
wenn er nicht doch geliebt werden will = Psychologie.
Martin
hat folgendes geschrieben: Andere waren zu feige für den
Selbstmord. |
Es begingen reichlich Leute Selbstmord. Und Selbstmord setzt auch nicht immer
nur Mut voraus und in den seltensten Fällen "Ehrentod", sondern ist
weit öfter Kapitulation und näher der Feigheit. Und wer würde bezweifeln,
dass Hitlers Selbstmord seine Kapitulation war?
Martin
hat folgendes geschrieben: Außerdem hätte er Berlin
verlassen können. |
Gewiss, aber wohin? Hitler hatte sich ziemlich bekannt gemacht in der Welt und
kein Erdloch wäre ihm sicherer Ort geworden.
Nein, von Hitlers Standpunkt betrachtet - und warum soll man das nicht tun? -
war der Selbstmord die wohl richtigste und überfälligste Entscheidung seines
Leben.
Man muss den Wahnsinn einrechnen, wenn man ihm begegnen will >> Vor dem 1.
Irak-Krieg prophezeiten die Experten: "Saddam wird die Öl-Felder anzünden!",
also wusste man und nahm es in Kauf. Man kann dann nicht so tun, als sei es
"fremd", "unfassbar", als dann passierte.
Die Entfremdung ist so oft nur Alibi. Gewiss nicht bei Dir, aber bei vielen hat
sie Methode.
Und die Skurrilität im Beipack von Selbstmord ist ebenfalls von einer Häufigkeit,
dass sie mir nicht "fremd", sondern geläufig ist. Aus der
Gerichtsmedizin, aus dem Geschäftsleben und leider auch im Freundeskreis:
Menschen nehmen sich das Leben und machen sich eine Zeremonie, denn sie
erleichtert den Schritt. - Nicht immer, aber oft ist es so.
Martin
hat folgendes geschrieben: 'Zeigen' ist zu wenig, zu groß
ist die Gefahr, dass der Irrsinn selbst Gegenstand der Faszination wird. |
Stimmt total. Und Menschen werden gerade durch die schlimmsten Horrorfilme
horrorsüchtig, von denen ich keine Minute ertragen könnte.
Aber die Welt ist nicht nur für die Idioten gemacht und ich kann wegen der
Idioten nicht alles wegschließen oder in Watte packen. Dass ich hingegen mit
der Antifaschismus-Garantie des Films in meinem Eingangsposting übertrieben
habe, gab ich Dir schon im letzten Posting zu. Nichts geht ohne Vernunft. Aber
der Film mindert die Vernunft nicht, ist m.E. auch nicht wirkungsneutral,
sondern mehrt sie. Und deshalb lobte ich ihn.
Du verlangst mehr, aber das gibt der Stoff kaum her. Eben keine deutlicheren
"Sollbruchstellen", deutlicheren "abgründige Dialoge". Es
braucht zur Katastrophe so viel, wie Du verlangst. Das ist doch die Brisanz von
Geschichte und Politik. Das ist doch das "Fatale" am Ost-West-Konflikt
gewesen, dass ein "Krieg aus Versehen"
die Menschheit hätte ausrotten können =
"kompletter Wahnsinn", aber nicht "unfassbar",
sondern jeder konnte es wissen und wir waren oft nahe am Untergang, obwohl sich
die Politiker immer wieder auch freundlich die Hände schüttelten.
Entfremde das Grauen nicht. Wir müssen es greifen, um wegschaffen zu können. -
Allein Greifbarmachen ist Aufklärung.
Martin
hat folgendes geschrieben: ... wegen der unfassbaren und
monströsen Vernichtungsenergie, die dort entfesselt wurde. |
Aber mit solchen Formulierungen postulieren wir doch viel eher, was Du und ich
andauernd anderen Leuten bestreiten: die Geschichte als
"Kettenreaktion", dabei gab es immer Alternativen >> 1. Hitler hätte
man aus Landsberg gar nicht rauslassen dürfen, 2. die NSDAP hätte man nicht
wieder erlauben dürfen, 3. man hätte Hitler nicht wählen dürfen, ... 12.
Hitler hätte man die Wiederbewaffnung verhindern müssen, ... 25. Hitler hätte
sich vor Stalingrad die Kapsel reinpfeifen sollen, ... 30. die Soldaten hätten
sich verweigern müssen, ... 42. die Alliierten hätten den Krieg anders führen
können, ...
Es gibt immer Alternativen, nichts in der Politik ist Kettenreaktion, solange
Menschen entscheiden. Nur der abgefeuerte Torpedo u.ä. "entfesselt
seine Energie" unwiderruflich. Wenn er nicht defekt ist und solange
es keine Abwehr gibt.
Martin
hat folgendes geschrieben: Irgendwie zeigt der Film den NS
als unausgesetzten Drogentrip, der mit dem goldenen Schuss endet:
Traumweltlogik, monströs ... |
Nichts anderes war es! Und das mindert in keinster Weise die Dimension des
Verbrechens.
Martin
hat folgendes geschrieben: und fremdartig, nicht von dieser
Welt und nicht verstehbar. |
Eben doch nicht "fremdartig", sondern wenigstens irgendwelche normale
Nachbarn unserer Eltern wählten Hitler, kämpften sich zu Tode und "für
das Vaterland", oft ohne Nazis zu sein.
Martin
hat folgendes geschrieben: Das Fremde bleibt fremd, das ist
die eigentliche Tragik. |
Liebster Martin! Die "eigentliche Tragik" für mich auch im
Freundeskreis ist, dass sogar mir wirklich superkluge Menschen wie Du sich
Verstehbares unnötig unverständlich machen.
Das treibt die Psychologie mit dem Menschen und siegt eben auch ab und zu über
den tollsten Verstand, wenn Du darauf bestehst, dass Du nicht verstehst.
So aber bekommen wir den Faschismus nicht weg aus den Köpfen, sondern er bliebe
ambivalent: den einen Menschen Horror, den anderen Menschen Faszination.
Überwunden wird er doch erst, wenn die politische Katastrophe menschlichen
Versagens den mythischen Betrachtungen entrissen ist - wie schwierig es war mit
der Erde als Kugel statt Scheibe und niemand "steht Kopf" im Süden. -
Es war "unfassbar" für die (meisten) Menschen. Die
Entmythologisierung emanzipierte vom Schock, dass der feste Boden unter den Füßen
um die Sonne kreist und alles durch das Weltall jagt - mit ungewissem Ziel. -
Genug Mythos bleibt, aber jeden vermeidbaren Mythos vermeiden.
9,2 Prozent in Sachsen. Das ist "irre viel", "befremdet" mir
die Sachsen!!! Als wenn der NS nicht reichte, von dem sich NPD-Funktionäre
nicht distanzieren. - Und die Menschen wählen es "trotzdem".
Und auch wieder nicht "trotzdem", sondern "weil" wir
versagen mit unseren demokratischen Möglichkeiten, "weil" wir zu
wenig Probleme lösen.
Die Kriege, die Gewalt weltweit strafen uns Menschen für menschliches Versagen.
Ich mache mit solchen Sprüchen doch aus uns keine Täter, aber Untätige dürfen
wir nicht sein und uns die Folgen unserer Ineffizienz zurechnen und nicht
"entfremden". Sie sind zu nah, zu greifbar.
Grüße von Sven 08.10.2004 Diskussion aus
unserem gehacktem
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