rechtliche Loyalität gegenüber dem Feind
Hallo MiG,

zur Frage, wie ich mich zum Awacs-Einsatz verhalten hätte: 

ich wäre zwar gern kriegsbeobachtend durch die Lüfte gedüst, ansonsten aber hätte ich mich rausgehalten und anderslautende Befehle verweigert, denn der Krieg verstieß meines Erachtens gegen das Völkerrecht.

Vom Standpunkt des Rechts hätte ich "grundsätzlich" sogar Abwehrdaten an den Völkermörder Saddam Hussein übermitteln müssen, denn auch dem schlimmsten Verbrecher gegenüber schuldet der Rechtschaffende Hilfe im Falle, dass ihm Unrecht widerfährt. 

Beispiel: wir sind im Gericht, der Mörder des Kindes ist soeben verurteilt. Der Vater des Kindes zieht eine Waffe und will den Mörder erschießen. Die Gerichtsdiener müssten den Vater hindern und ihn notfalls erschießen. 

Aber wenn ich dem Völkermörder Hussein "grundsätzlich" zum Beistand verpflichtet bin, so kann ich ihm "ausnahmsweise" die Hilfe versagen, denn niemand ist zur Hilfe verpflichtet, wenn die Hilfe das Unheil vergrößert - und solch Beitritt zum Krieg hätte das Desaster nur eskaliert.

Doch unmissverständlich: ich bin für die Ausschaltung von Diktaturen. Allerdings nur mit den Mitteln des Rechts. 

Also hätte man das Völkerrecht für solche Fälle erweitern müssen anstatt es durch Bedrohungslügen zu verbiegen; man hätte ordentlich Gericht halten müssen und dann die Rechtsfolge durchsetzen = Legalitätsprinzip. 

Und die Rechtsfolge kann dann wohl auch militärisch sein, aber "Saddam weg!" reicht leider nicht als politisches Konzept, denn die Rechtsdurchsetzer haften dafür, dass schlechten Zuständen auch tatsächlich bessere folgen - und wir sehen im Moment, wie schwierig das ist.

Nun noch ganz spannend:  Wärst Du mit Deiner in diesem Fall anderen Meinung ein "Mörder", wenn Du an die USA kriegsrelevante Daten übermittelt hättest?

Solch Tun fasst zunächst mal kein Gesetz als "Mord" und ich bin nicht Dein Richter und wenn ich es in Sachen Völkerrecht auch gern wäre, so fehlt mir für diesen Fall einfach die Norm.

Deshalb würde ich zunächst einige recht neuartige Normen fordern, die beispielsweise lauten könnten:

"Soldaten, die an völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligt sind, die zu Zerstörung von Natur und fremden Eigentums führen, haften gesamtschuldnerisch und strafrechtlich für die verursachten Kriegsschäden."

"Soldaten, die an völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligt sind, die den Tod von Menschen zur Folge haben, sind den Hinterbliebenen schmerzensgeld- und für zerstörte Unterhaltsbeziehungen ersatzpflichtig und über diese Schadensersatzpflichten hinaus als Kriegstotschläger, in besonders schweren Fällen als Kriegsmörder mit Geld- und Freiheitsstrafe zu bestrafen, die sich in ihrer Höhe am Sinn für die Opfer orientieren und die politische Verantwortlichkeit berücksichtigen."

Solche Rechtsfolgen stellten ein hohes Risiko für den Soldaten dar.  Aber nur dadurch erhöht sich das  Verantwortungsbewusstsein für das häufig irreversible soldatische Handeln, nur dadurch wird das soldatische Gewissen stärker bemüht, ehe er marschiert, schießt, bombt, ...

Es reicht nicht aus, dass der Soldat "sein Leben riskiert", denn das riskiert auch jeder, der sich außerhalb von Kriegen als Entführer und Mörder versucht.

Und die Strafe muss sein, denn zum Krieg "gezwungen" wird hierzulande niemand.

Die Strafe muss auch sein, wenn er sich in seinem Gehorsam und Handeln vermeidbar irrt. 

Nur wenn er sich unvermeidbar irrt, dann allein dürfte man nach allgemeinem Strafrecht auf Strafe verzichten.

Aber auch im unvermeidbaren Irrtum dürfte die zivilrechtliche Pflicht zu Schmerzensgeld und Schadensersatz nicht entfallen, denn das Recht des Opfers geht auch dem Recht des Irrenden vor - wie beim Arzt, der versehentlich dem Blinddarmpatienten das Bein amputiert.
 
Strafmildernd würde sich auswirken, wie sehr zu einem insgesamt gleichwohl vermeidbaren Rechtsirrtum die politische Propaganda beigetragen hat, insbesondere die Aufbauschung der Bedrohung und die damit einhergehende Behauptung einer rechtfertigenden Notwehrsituation.


MiG, ich müsste Dich bestrafen:-) Aber zum Glück ist das alles nur Theorie. Eigentlich aber Pech für die Menschheit.

"Konform" sind wir beide bei weitem nicht, aber das bin ich doch in Wahrheit mit kaum jemandem - und mit Dir trotzdem viel mehr als mit manchen, die Dir oder mir "politisch näher stehen", denn oft steht der Teufel direkt neben einem - und sieht aus wie eine Göttin.

Darum ist es gut, je öfter wir miteinander einverstanden sind UND je öfter auch NICHT. 

Daraus entsteht den Menschen viel mehr wahre Nähe als aus aller "Gefolgschaft" in schlecht Überlegtes.

Darin sind wir bestimmt wieder "konform"?

Grüße von Sven

Herrn Schröder würde ich wegen des Awacs-Einsatzes weit strenger verurteilen als die Awacs-Besatzung, denn ihm würde als studiertem Jurist in diesem Fall die Behauptung jeglichen Rechtsirrtums misslingen.

Schröder musste klar sein, dass an die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns weit höhere Ansprüche zu stellen sein sollten als an uns durchschnittliche Bürger.

Der Staat, wenn er nicht von Narren soeben aus der Taufe gehoben wurde, kann sich entwickeln und besser organisieren als es dem Durchschnitt des Bürgerbewusstseins entspräche: als Summe, als Potenz aus Demokratie und Eliten - wie ein sehr gutes Fahrzeug, von dem längst nicht jeder wissen müsste, wie man es baut oder repariert, sondern viele einfach nur wissen, wie man es so durch den Verkehr lenkt, dass es nicht kracht und andere dafür sorgten, dass sich der Schaden in Grenzen hält, wenn es trotzdem mal kracht.

Der Staat soll mehr KÖNNEN als der Bürger, aber niemals mehr DÜRFEN als nach höchsten Ansprüchen rechtens wäre.

Die Philosophie wird leider meist für einen Ausflug in beliebige Ideenwelten gehalten, als sei sie Luxus und nicht Basis des Tuns.