EINSTIEG in die rechtsextreme Szene

Wer aus der extremistischen Szene "aussteigt", muss zuvor "eingestiegen" sein und oft kommt die Frage auf, wie jemand dort hinkommt.

Die Antwort kann nach allem, was wir erfahren,  leider nur lauten: Es gibt nicht den einen Weg in den Hass, sondern viele Faktoren, die den Irrweg wahrscheinlicher machen. Wir werden die Faktoren benennen, aber wir tun dies zugleich in Gegenrede zu falschen Erklärungsschemata.

Linksextremisten geben folgende Antwort:
"niemand wird als Faschist geboren, die kapitalistische Gesellschaft produziert faschistisches Bewusstsein." 

Kommentar:  Richtig, niemand wird als Faschist geboren. Auch nicht als Dieb, auch nicht als Demokrat oder linker Revolutionär.  Die "kapitalistische Gesellschaft" scheint also eine ganze Menge von Politiktypen zu "produzieren", oft sogar vollkommen verschiedene Typen innerhalb einer Familie.

Woran mag das liegen? Der Mensch ist eben nicht nur "Ensemble sozialer Einflüsse" bzw. "gesellschaftliches Produkt", sondern auch mit etwas eigenem Verstand beglückt, was sich zuweilen als Pech erweist, wenngleich das unsere linken Extremisten für die eigene Genesis nicht begreifen werden. 

Linksextremisten theoretisieren weiter:
"Rechtsextremismus kann nicht individualpsychologisch erklärt werden und schon gar nicht aus irgendwelchen natürlichen Dispositionen der Leute; d.h. es gibt nicht so etwas wie ein natürliches Aggressionspotential oder eine angeborene Angst vor dem Fremden. Dumm wird man nicht geboren, dumm wird man gemacht; - das zählt auch für Nazis."  Quelle:  Antifa.de  mit weiterer KRITIK

Wiederum wäre zutreffend, dass "individualpsychologische" Erklärungsschemata nicht hinreichend sind, aber ebenso wenig ist  der Gegenschluss zutreffend.  
Solch undialektisches Binär-Denken kann der sozialen Individualität des Menschen nicht gerecht werden, sondern instrumentalisiert ein politisches Phänomen, dessen Bestandteile es auch in nichtkapitalistischen Epochen und Regionen gab/gibt durch Reduktion auf kapitalistische Systemverantwortlichkeit für außerhalb des Problems liegende Politikziele. 

Überdies ist nicht substantiiert, dass der Mensch ohne "natürliches Aggressionspotential" und ohne "Fremdenangst" geboren würde. Vielmehr scheint es, dass solche Disposition sehr wohl "natürlich" sind und erst zivilisatorisch überwunden werden können, beispielsweise durch Gesetze, die den Aggressor kriminalisieren, beispielsweise durch multikulturelle Erfahrung, die das Fremdeln verringern kann, je nach dem, ob es sich um gute oder schlechte Erfahrungen handelt, wofür die Politik Mitverantwortung trägt in der heutigen Bundesrepublik Deutschland wie in der vergangenen DDR, die längst nicht "multikulturell" war.

Überdies wird der Mensch zuweilen "dumm geboren" und Eltern und Gesellschaft mögen ihm eine Menge beizubringen haben, was misslingen kann, manches unbewusst, manches systematisch, wie etwa in Wahlkämpfen, wenn Parteien auf Nationalismus und  Fremdenfeindlichkeit setzen. Das kann dann "dumm machen", aber bestätigt die zitierte Theorie doch wieder nur zum Teil, denn die  Globalisierung wandelte auch mächtig die "Dispositionen des Kapitalismus", was offenbar noch nicht so recht von Linken verstanden ist, so viel sie sich auch damit befassen, aber die ERKENNTNIS kommt ihnen nicht, solange sie den Weg nicht gefunden haben, sie in ihr binäres Weltbild einzupassen.

Linksextremisten theoretisieren weiter:
"wer nicht vom Kapitalismus reden will, soll vom Faschismus schweigen"  

Kommentar: Ein markiger Spruch, aber wer über Faschismus nur deshalb reden will, um über den Kapitalismus zu sprechen, der sollte besser zum Faschismus schweigen. 
So könnte man kontern, aber das wäre von ebensolcher Dusseligkeit wie linksextremistisches Sektiererdenken.  Man sollte sich die "wissenschaftlichen Analysen" unserer linken Erleuchter ruhig anschauen, so sehr wenig sie auch mit Wissenschaft und Analyse zu tun haben und über die Sammlung von Thesen selten hinauskommen.

Für linksextremistische Analysen gilt nichts anderes als für rechtsextremistische und jede sonstige:

1.  ideologisch motivierte Analysen suchen sich immerhin Anknüpfungspunkte in der Realität,

2.  ideologisch motivierte Analysen bleiben jedoch ihrem Hauptanliegen verpflichtet und die Klärung des thematisierten Problems wird der ideologischen  Auseinandersetzungen untergeordnet.  Schon dadurch verengt sich die Wahrnehmung und verkürzt sich analytisches Denken.  

Wer versucht, die Mitverantwortung für gesellschaftliche Probleme dadurch zu bestreiten, dass  einzig dem politischen Gegner die Verantwortung zugeordnet wird, wie es bei den Systemkritikern aller Seiten zum gegenseitigen und zum staatskritischen Vorwurf genügt, sorgt sich zwar um das eigene Gewissen, aber  löst  an den Problemen nichts.

Wer versucht, das Problem des Rechtsextremismus auf eine "individuelle Delinquenz" zu reduzieren, wie es das Anliegen vieler ist, bei denen die politische Macht im Lande liegt und die für ihr Versagen nicht haften mögen, drückt sich um die Mitverantwortung und um die erforderliche Politik.

Schlussfolgerungen:

Die Wege in die rechtsextremistische Szene sind so verschieden wie die Menschen.

Es gibt viele Faktoren, die solche Fehlentwicklungen fördern, aber keiner dieser Faktoren hätte die Fehlentwicklung zum zwangsläufigen Ergebnis. Nur in dieser Relativierung listen wir nachstehend einige solcher Faktoren auf, wobei die Nummerierung lediglich die Diskussion dazu erleichtern soll und keine Gewichtung darstellt:

1. wirtschaftliche und moralische Krisenhaftigkeit des Gesellschaftssystems, unabhängig von der politischen Ausrichtung links/rechts/bürgerlich;  insgesamt eine opportunistische auf bloße Macht- und Selbsterhaltung orientierende Politik, die nicht nur ganze Wirtschaftszweige von subjektiver Verantwortlichkeit, sondern den Menschen an sich von individueller Verantwortung "befreit" und damit zugleich in die Totalabhängigkeit zum Ganzen bringt.  
Der Mensch wird zum Subventionsobjekt, zum Konsumenten, während seine schöpferischen Qualitäten zwar gewünscht und "gefördert" werden, sich nicht aber mehr als notwendig darstellen, solange das Subventionssystem noch funktioniert.  Aber die Vermutung seines Zusammenbruchs ist für viele so naheliegend, dass die Neigung wächst, drohende Konkurrenz und Sozialkonflikte zu antizipieren.

2. multikulturelle Negativ-Erfahrungen in Gebieten, in denen Integrationspolitik vernachlässigt und Überfremdungsängste als nichts existent bzw. unbegründet übergangen werden; Globalisierung mit  Effekten für das bei vielen ohnehin gestörte Identitätsbewusstsein und mit Effekten bis hinein in die Lebensnahbereiche Kindergarten, Schule, Diskothek, Straße, Berufsleben, Arbeitsamt, Sozialamt.   Kommunikationsbarrieren, kulturelle Fehlinterpretationen, kulturelle Inkompatibilitäten - alles Faktoren, die nur im Wege problemanerkennender Integrationspolitik  überwindbar wären.  Der bessere Begriff wäre "Multikulturpolitik", denn es kann nicht zum Erfolg führen, die Minderheiten den Mehrheiten anzupassen, sondern auch die Mehrheiten müssen sich öffnen, nicht nur Toleranz entwickeln, sondern kulturelle Bereicherung erfahren lernen bzw. können,

3. soziale Randständigkeit oder Verwahrlosung der Familie,  personale Halt- und Perspektivlosigkeit,

4. Erziehungsfehler wie Gewalt, Lieblosigkeit, Vernachlässigung, die in Familien aller Schichten vorkommen kann;   dazu ein Bildungssystem ohne Tiefgang und zurückgehendem Erziehungsanspruch seitens vieler Lehrkräfte,

5. Generationskonflikt in der heutigen Spezifik, dass die 68'er-Generation nicht links-intellektuell zu überholen ist

6. historischer Abstand zu den Tätern und Opfern faschistischer Verbrechen bei nahezu unveränderter Methode, die "Vergangenheit zu bewältigen" = "Mahnmal-Politik" mit  Schuldkomplex-Effekten anstelle von Entwicklung eines Versöhnungsbewusstseins für politische Gegenwarts- und Zukunftsverantwortung,

7. Dialogunfähigkeit der Eltern- bzw. Entscheider-Generation, die sich  mit Ausgrenzungsversuchen behilft oder ihre Untätigkeit kaschiert und dabei übersieht, dass in den geistig-politischen Sperrbezirken die extremistische Szene wartet und sich um die Ausgegrenzten "kümmert" .

So viele Faktoren hier gelistet sind, würden noch viele anzufügen sein, aber all diese Faktoren haben gegenwärtig gesamtgesellschaftlich noch sehr unspezifisches Gewicht.  Einige Faktoren wirken in das Bewusstsein der breiten Massen, manifestieren sich dort in latenter Fremdenfeindlichkeit, in Freiheitsskeptizismus und latenter Demokratie-Kritik, die als Staatsverdrossenheit wahrnehmbar ist und sich durch das Fehlverhalten von Parteien (z.B. Spendenskandale, Politikabwesenheit)  noch verstärkt.  Der Glaubwürdigkeitsverlust herrschender Politik geht einher mit allgemeinen Argumentationsverlusten gegenüber radikalen Systemgegnern. 

Trotzdem "funktioniert" das Ganze noch einigermaßen und der "Zusammenbruch", so sehr er von Systemgegnern herbei gewünscht wird, lässt sich noch nicht datieren.

Politisches Gesamtanliegen im Widerstreit zum Rechtsextremismus, aber auch zum Extremismus insgesamt wird sein, deutlich zu machen, dass es zwar sehr wohl darum gehen muss, Alternativen zu schlechter Politik zu entwickeln, dass aber Extremismus gleichbedeutend ist mit der Übertragung von Entrechtungs-Ideologien in das Leben der Gesellschaft, der Menschen und deshalb keine "Alternative" sein kann.

Lesen sie achtsam, was die Aussteiger über sich selbst schreiben.  Autobiographien haben sicherlich ihre Tücken, denn der Mensch braucht ein Bild von sich, mit dem er leben kann. 
Vielfach gelangen aber Darstellungen, die anderen etwas eher die Augen öffnen könnten.   Ohne Garantien, denn die Menschen sind keine Automaten,  aber sie müssen uns den Versuch wert sein. 

sven

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