System und Reformgeister   unfertig oder verworfen


@Dirk, "Reformgeister" ist nicht abfällig gemeint, sondern doppeldeutig, denn ohne Reformgeist geht immerhin auch nüscht. 

Zunächst sei Dir gedankt, mich inhaltlich reflektiert sehen zu dürfen, denn allzu leicht kann passieren, dass jemand in einen Diskurs-Raum kommt, ganz vieles sieht und für ein Ganzes ("Nur so und nicht anders!") hält, dem beizupflichten sei oder Abschied. 

Stattdessen ist Weltrepublikanisches zwar tatsächlich Systemwechsel, aber es verhält sich im Diskurs nicht anders als für jederlei Systemwechsel politischer Art gewöhnlich: Einige stellen sich vor, der Systemwechsel sei davon abhängig, das Ziel sei der Weg, auch "Revolution und Paradies", anderen schwebt eher ein Prozessscharakter vor, wie ich ihn bspw. für das Themenfeld der Friedenssicherung unter dem Stichwort UNO-Pazifismus beschreibe und eingebettet sehe in einen Reformprozess verschiedener Geschwindigkeiten auf verschiedenen Strecken usw.

Überdies führt der Systemdiskurs nicht dazu, dass unterschiedliche Sichtweisen für die Bedeutung einzelner, globaler Probleme verschwinden, denn damit rücken unterschiedliche Entmachtungswünsche in den Vordergrund und folglich auch die entsprechenden Widerstände. 
Überdies gibt es unterschiedliche Grade der Wertschätzung für das alte System, oft auch nur einiger Aspekte davon, wovon wiederum abhängig ist, wie streng die Kritik am alten System ausfällt, ob solche Kritik dann eher noch Rückschritt gegenüber dem alten System zur Folge hat oder auf den Weg zum gewünschten System bringt.
Schlussendlich noch der Diskurs, wie das künftige System überhaupt auszusehen hat, zumal keinem System Perfektion eigen sein wird, erst recht nicht im Hinblick auf Jedermann-Ansprüche.
Das wäre dann das Schlachtfeld von Parteien. - Während es hier zunächst mal bloß darum geht, vom militärischen Schlachtfeld auf parlamentarische und gerichtliche Schlachtfelder zu wechseln.

Du stellst zurecht fest, dass Das Konsentprinzip? Je schroffer die Gegensätze, desto mehr ist Versuchung oder auch Erfordernis, "Dritte Wege" zu begehen. Aber häufig ist es neuer Wein in alten Schläuchen, bloß neue Vokabel, zumal auch Wissenschaft, insbesondere Sozial- und Politikwissenschaft gesellschaftlichen Erwartungen gerecht werden muss, ab und an "Neues" zu verfassen. 

Auf Richards Empfehlung hin ließ ich mir am vergangenen Samstag "Das Demokratische Weltparlament" von Leinen/Bummel zukommen. Sachbücher nach dem Inhaltsverzeichnis vorzugsweise zunächst rückwärts quergelesen, bin ich gelinde gesagt begeistert. Und das nicht bloß die Tendenz betreffend, sondern auch hinsichtlich der Darstellung insgesamt, historisch, Logik und sprachlich, woran mir auf Konsumentenseite auch etwas gelegen sein darf ;-) 
Allemal kann ich Richard versprechen, es auch gründlich in der gedruckten Reihenfolge zu lesen. Es hat wirklich Klasse. Und nicht nur für das Weltrepublikanische, sondern auch für das tiefere Verständnis unserer gerüttelten Europäischen Union, die uns nachrichtlich oft nur oberflächlich begegnet, obgleich alle wissen, wie wichtig deren Entscheidungen sind. - Aber dieses Problem sehe ich auch für den öffentlichen Diskurs rund um Weltsicherheitsrat und UNO. 

Methodisch verfahre ich mit wissenschaftlicher Lektüre gerne "andersrum": Beschaue mir die einzelne Überschrift, notiere dazu meine Vorstellungen und lese erst dann. Also "erst denken, dann lesen", weil sonst der eigene Verstand, die eigene Phantasie zu rasch von Expertengeistern überfahren wäre, was der kritischen Distanz und auch den Horizonten abträglich sein kann. Solche Reihenfolge erkenntnistheoretisch besser als die andere Bewährtmethode, jeder begegneten These aus Prinzip testweise zu widersprechen, nach weiteren Alternativen und Sinngrenzen zu fragen. Diese Bewährtmethode würde sich meiner Vorzugsreihenfolge allerdings anschließen. - Dat nur nebenbei und macht verständlich, warum sich viele meiner Texte "unreif" lesen, weil ich zu oft bloß denke, schreibe und zu wenig lese, mir also methodisch untreu bin. Aber so stellt sich immerhin spontan die kritische Distanz zu meinen Überlegungen her. Und ich mag Emanzipiertes. 

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