Amoklauf von Winnenden: 16 Tote. Und die Ursachen.

Der 17-jährige Tim K. kam mit schwarzer Militärkleidung in den Klassenraum. Zunächst hielt man es für einen Scherz, dann schoss er acht Schülerinnen, drei Lehrerinnen und einen Schüler tot. Das Morden ging auf der Flucht weiter, bis er selbst zu Tode kam. Krisen-Hotline für die Hinterbliebenen.

Er sei unauffällig und freundlich gewesen, Tatwaffe und Munition aus dem Elternhaus, und wieder herrscht Ratlosigkeit, werden Nachahmungstaten befürchtet, denn gestern wurde über einen Amoklauf in Alabama mit 10 Toten berichtet. Experten werden befragt: der Jugendliche, der sich zurückgezogen habe, der die Gesellschaft für sein Versagen verantwortlich mache, der sich von Rächer-Figuren faszinieren lasse und seinen Frust in gewaltsimulierenden Computerspielen eben doch nicht abbaut, sondern in Gewaltförmigkeit übt, ...

Die oft vermutete "Perspektivlosigkeit" scheidet endlich mal aus, denn Papa ist Unternehmer und der Täter wieder ein Spross aus ansehnlichem Eigenheim, oder war Papa vielleicht doch zu unzufrieden mit dem Realschulabschluss? Bleibt zu klären, aber was kommt heraus?

Amokläufer stets männlich mit stets legalem Waffenbesitz

Es gibt auch für Amokläufe kein einheitliches Täterprofil, doch immerhin sind sie allesamt männlich, und es gibt einheitliche Tatvoraussetzungen, denn wieder einmal kamen "legale Waffen" zum Einsatz und passt zum "zurückhaltenden" Wesen, während die kriminelle Waffenbeschaffung eher zu sogenannten Schulstörern passt, zu unfriedlichen "Schulhof-Tyrannen", die zwar zu Mördern werden können, aber weniger zu allgemeinen Abschlächtern.
Also kommt man nicht umhin, die Auflagen für privaten Waffenbesitz zu verschärfen, z.B. "Wenn Kinder im Haus sind, dann ..." - Und es müsste in den Schulen die erhöhte Gewalt von Männern thematisiert werden.

Amokläufer und das Motiv der sexuellen Frustration

Und noch etwas fällt in diesem Fall stärker auf, wenn es nicht nur Zufall war, dass so viele Frauen erschossen wurden. Was findet sich auf seinem Computer und lässt Rückschlüsse auf seine Phantasien nebst Frustrationen zu? Ein sexuell frustrierter Jugendlicher? Das Thema der sexuellen Frustration ist noch immer unliebsam, obwohl die Medien, die Mode und die Werbung den sechsten Sinn so sehr und schräg in Anspruch nehmen.

"Sex sells", aber nicht jeder kann es sich leisten oder bekommt es geschenkt. Auch das muss in den Schulen thematisiert werden, so sehr sich insbesondere verklemmte Eltern damit schwer tun bzw. aufklärenden Lehrern Schwierigkeiten bereiten. Jugendliche müssen lernen, mit sexuellen Frustrationen klarzukommen, denn für die glückliche Liebe gibt es nun mal keine Garantie, obwohl sie die sicherste Garantie gegen Amokläufe wäre.

-Markus Rabanus-  20090311  >> Diskussion

(nachgebessert am 12.03.09 und am 13.03. die Zahl der Toten korrigiert)


Bernhard hat folgendes geschrieben: Bei korrekter Aufbewahrung und Sicherung der Waffe wäre es dem Amokläufer nicht möglich gewesen, an die Maschinenpistole heran zu kommen.

§ 36 WaffenG, aber wer sich seiner eigenen Kindheit erinnert oder Kinder hat, weiß, dass es keine "sicheren Verstecke" gibt.

Bernhard hat folgendes geschrieben: Auch ich bin der Meinung, dass der Privatbesitzung von Schusswaffen deutlich reduziert, wenn nicht gar ganz illegalisiert werden sollte. 

Dafür gibt es die besseren Argumente, aber noch setzen sich die Märchen der Waffennarren und Waffenlobbyisten durch.
Eines dieser Märchen ist die Möglichkeit "sicherer Verwahrung", denn eine Waffe im Panzerschrank ist wie Geld, Schmuck im Panzerschrank nur sicherer gegen Diebstahl, nicht aber gegen Raub. Wer also dafür bekannt ist, eine Waffe "ordnungsgemäß" zu verwahren, setzt sich einem erhöhten Risiko aus, wie es auch wenig ratsam wäre, sich eines sicheren Geldschranks zu rühmen.

Bernhard hat folgendes geschrieben: In Deutschland befinden sich etwa 10 Mio. Schusswaffen in legalem Privatbesitz, ...

Bei ARD-Monitor war gester von 40 Mio. Schusswaffen in legalem Privatbesitz die Rede.

Bernhard hat folgendes geschrieben: Eine vorschnelle Gesetzgebung aus konkreten Anlässen heraus bringt aber nichts, so lange nicht einmal die bisherigen gesetzlichen Auflagen zum Waffenbesitz exekutier bar sind.

Polemik gegen "vorschnelles" Reagieren verbietet sich schon aus dem Grund der wiederholten Risikorealisierung. Versicherungsrechtlich würde man leer ausgehen, wenn die spätestens aus einem ersten Schadensfall zu ziehenden Schlussfolgerungen nicht gezogen wurden. Im Gegenteil würde schon die Regulierung des Erstschadens verweigert, wenn ein Risiko gesehen, aber toleriert wurde. In der Politik, zumal sie sich die Akteure oft genug als "Realpolitiker" preisen, können kaum andere Maßstäbe gelten als im rationalen Management wirtschaftlicher Risiken.

Bernhard hat folgendes geschrieben: Das wäre Aufgabe von Polizei und anderen Behörden, ... 

Mit Wachposten vor Eigenheimen von Waffennarren ... - ist absurd, jedenfalls Polizei und andere Behörden überfordernd. Unangemeldete Kontrollen sollten jedoch das Minimum sein und sind durch §39 WaffenG nicht ausreichend vorschriftlich.

Bernhard hat folgendes geschrieben: leider aber ist in letzten Jahren jeder in die rechte Ecke gedrängt worden, der einen Ausbau polizeilicher Strukturen gefordert hat.

Im Gegenteil werden Forderungen gegen Waffen oft genug "in die linke Ecke gedrängt". Dämlich ist, wer sich gemeinsamer Probleme aus Gründen politischer Himmelsrichtungen nicht sachlich annimmt.

Bernhard hat folgendes geschrieben: ... narzisstischen Persönlichkeitsstruktur ... 

Ein "komplexes" Thema, dem man sich nur durch Thematisierung einzelner Aspekte nähern kann, eben auch dem Thema "Umgang mit sexuellen Frustrationen".

Bernhard hat folgendes geschrieben: Du forderst viel von Lehrern, mehr als Feuerwehr spielen können sie aber nicht bei Schülern, deren psychischen Schwierigkeiten aus ungünstigen frühkindlichen Beziehungserfahrungen herrühren. 

Die Schulgesetze der Länder sehen zurecht und zumeist schon in ihren § 1 den Erziehungsauftrag als Teil des Bildungsauftrags vor; und die staatliche Schule ist nun mal der wichtigste Ort, an dem die Glanzleistungen oder auch Macken elterlicher Erziehung entweder bloß kulminieren oder aber auf soziale Kompetenz geprüft werden können.

Bernhard hat folgendes geschrieben: Ich bin dafür, die Verantwortung dort zu lassen wo sie hingehört, nämlich ins Elternhaus.

"Mut zur Erziehung" war mal eine Parole, gegen die ich als Schülersprecher vorbrachte, dass die Erziehung in und durch die Familie zwar ihren hohen Stellenwert hat, aber insbesondere während des natürlichen Emanzipationsprozesses, den jeder Jugendlicher zum Erwachsenen durchläuft, von nichtfamiliären Zusammenhängen geprägt wird, insbesondere von der Schule.

Möchte man früher ansetzen, um Defizite der elterlichen Erziehung ausgleichen, so wäre eine Kita-Pflicht einzuführen, wenngleich es keine ganztägliche oder jedestägliche Pflicht sein müsste, aber die "Kevin-allein-zuhaus"-Erziehung ist nun mal nicht kindgerecht und provoziert Narzissmus.

Die Gegner solcher Forderungen gibt es aus allen Richtungen, linken, rechten, religiösen, armen und betuchten, können sich zumindest teilweise aus den Erfahrungen mit der staatlichen Erziehung unter totalitärer Herrschaft rechtfertigen, aber eben auch nicht daran vorbei, dass die elterliche Allein-Erziehung als Gegenmodell versagt, wenn sich Mama und Papa einbilden, sie könnten ersetzen, was Kinder mit anderen Kindern an Leben erlernen; und was auch Erwachsene erlernen müssen, wenn es gilt, die Wünsche und Interessen miteinander lebender Kinder zu vereinbaren. Ursula von der Leyen (CDU) hat diesbezüglich hervorragende Aufklärung in die eigenen Parteireihen und in die Gesellschaft betrieben.
Plädoyers und Finanzen für Eltern-Kind-Gruppen wären ein weiterer Baustein, den ich vielen Familien wünschen würde.

Bernhard hat folgendes geschrieben: Selbstverständlich ist es nun müßig, einen Schuldigen zu suchen und das nützt auch niemandem.

Schmerzhaft, ein Horror für die Eltern der Opfer und des Täters, für Freunde und das Lehrer-Kollegium, aber nicht "müßig", denn die sachliche Erörterung ist erforderlich und kann auch Leid aufarbeiten. Die Ansprache von Baden-Württembergs Kultusminister Helmut Rau (CDU) traf den richtigen Ton.

Bernhard hat folgendes geschrieben: In einem Staat aber, der sich seit Jahrzehnten ..., ist anderes nicht zu erwarten.

Staatsverdrossenheit ist immer Ausdruck auch von Selbstverdrossenheit, denn es gibt stets Möglichkeiten, "den Staat" zumindest in dem Rahmen zu fordern, zu verbessern, wo es die eigenen Kinder betrifft. Und da scheitert man häufiger nicht am Staat, sondern an anderen Eltern, wenn sie beispielsweise die Sexualaufklärung für Verführung zu Sittenlosigkeit halten. Die eigene Inkompetenz zur Überzeugungsarbeit lässt sich natürlich immer dem abstrakten Staat anlasten, aber Staat ist nicht abstrakt, sondern oft genug nur Ausrede für eigene Engagementdefizite und Zuständigkeitsdelegierung.

Bernhard hat folgendes geschrieben: Das größte Problem im Zusammenhang mit Amokläufen ist jedoch die Art der medialen Berichterstattung. Da es sich bei Amokläufern in aller Regel um maligne Narzissten handelt, finden sie die Erfüllung ihres größten Traumes in den Konsequenzen ihrer Tat: ...

Ob das "größte Problem", kann ich nicht ermessen, aber gewiss ein großes Problem und in Nachahmungsrisiken erkennbar. Das Problem der Aufmerksamkeitserlangung durch den öffentlichen Diskurs stellt sich für einiger unserer Projekte kaum anders stellt, wenn wir mit www.Antifaschismus.de dem Rechtsextremismus "Aufmerksamkeit schenken". Aufwertungseffekte sind nur schwer vermeidlich, zumal für den einzelnen Konsumenten ganz unterschiedlich. Kontinuierliche Projektkritik daher nötig und findet Ausdruck in der ständigen Überarbeitung von Inhalten und Parolen.

Bernhard hat folgendes geschrieben: sie stehen tagelang im Licht der Öffentlichkeit, Sondersendungen und Extrablätter berichten bis ins kleinste Detail über das Leben der Täter, schließlich werden sie von anderen Psychopathen hochstilisiert zu halbheiligen Propheten.

Bernhard hat folgendes geschrieben: Das Problem von Trittbrettfahrern ist bekannt, aber die logische Konsequenz zur Vermeidung von Nachahmungstaten, eine zurückhaltendere Berichterstattung, wird nicht ergriffen.

Da hast Du recht. Deshalb nahm ich für einige Stunden mein Leitposting wieder heraus, aber die Crux ist nun mal, dass wenn ich es erst in Wochen gebracht hätte, es wieder von anderen "News" überholt und den Lesern uninteressanter wäre. Allerdings wahrscheinlich inhaltlich besser, denn so schrieb ich doch etwas sehr unter dem Eindruck, dass die Problematik der sexuellen Frustriertheit ausgeblendet würde - und das schwächte ich in der "Nachbesserung" ab, zumal auch eine von mir kritisierte Expertin in einer Phoenix-Sendung weit mehr zu bieten hatte, als zuvor im knappen Tagesschau-Interview dargeboten.

Schönen Tag noch!

msr/sven  20090313     >> spezielle Diskussion

 

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