Zur Logik der Antisemiten:

"Nicht Antisemitismus ist beleidigend. Nur einen Antisemiten einen solchen zu nennen."

Erstklassiger Artikel von Sylke Tempel, 19. Juni 2002 in 
http://www.juedische-allgemeine.de/archiv/politik/politik-03406.html

Tempel diagnostiziert drei Spitzenpolitikern der FDP latenten Antisemitismus:
Rexrodt, Möllemann und Westerwelle.

Die Autorin argumentiert brillant und zutreffend, dennoch fehlt etwas:

Woran mag es liegen, dass sich selbst in den oberen Politiker-Etagen noch
immer welche schwer tun, wenn es um deutsche Juden geht oder um Israel?

Weil es "oben" geistig nicht so viel anders zugehen kann als "unten" in der 
Gesellschaft.  Und dort ist noch immer viel Beklemmung Ausdruck 
eines verbreiteten, kollektiven Schuldkomplexes, von dem sich zu 
"befreien" als "Tabubruch" empfunden wird.  

Auch das ist ein Paradoxon: Da wollen sich welche von Schuld "befreien" und 
es sind die selben Leute, die den 8.Mai nicht als "Tag der Befreiung" begreifen.
- Vom Standpunkt des Psychologen ist das allerdings hochplausibel.

Möglicherweise spekulierte Möllemann tatsächlich auf solche "Volksbedürfnisse",
die sicherlich näher an seine "18 Prozent" heranführen würden,
wenn solchen Deutschen die unverdaute Geschichte tatsächlich so wichtig wäre, 
was sie aber in den Bundestagswahlen 2002 in eher anderer Richtung war: 
"Kein Krieg!" - Und wieder können Psychologen Brücken schlagen und nicht
nur für die "nichtausländischen und nichtjüdischen Mitbürger", sondern auch
für viele deutsche Juden, die wie Friedman zum Kriege drängten, als wenn
Saddam Hussein die Reinkarnation Hitlers, mit gleichem Bedrohungspotential.
 
Nicht minder wahrscheinlich als das Schielen nach dem "rechten Rand" ist, 
dass Möllemann Lobbyist anti-israelischer Staaten ist und einfach tut, was sich 
Hardliner einer Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft von einem 
wünschen, der er seit 1991 Mitglied ist und bald darauf ihr Vorsitzender.  

"Freund" von irgendetwas zu sein, scheint vielen Deutschen gleichbedeutend
mit blinder Gefolgschaft, die einst dem "Führer" dienlich war. Und mit 
"Deutsche" meine ich dann "Mitbürger jeglicher Herkunft", die sich lediglich
ihrer Gefolgschaften unterscheiden. Und da sitzen mir Möllemann und Friedman
im selben Boot, allerdings in entgegengesetzte Richtungen rudernd, wie
auch im Nahen Osten insgesamt, weshalb sich dort nichts ändert.

Für diese dialektische Verbundenheit hat dann leider auch Sylke Tempel nicht
hinreichend Sinn, wenn sie selbst in geschichtlicher Befangenheit vermischt,
dass Antisemitismus zwar nicht Wunsch von Juden ist, aber dennoch Wirkung
von Verhalten sein kann: nicht anders als sich ein US-Präsident Bush des wieder 
erstarkenden Antiamerikanismus schuldig macht und ein schlechter Anwalt
den falschen Schuldspruch seines Mandanten.

Und das dürfte auch für Friedman gelten, dessen Karriere in viele Gremien
kein anderes Effektiv hat, als aus dem Schicksal seiner Herkunft im Umfeld 
einer von Schuldkomplexen noch immer geplagten Gesellschaft, die sich
durch Steigbügel für ihn zu exkulpieren versucht und damit wiederum 
unterschwelligen Antisemitismus fördert, der sich dann in exkrementischem
Hass jener irregeführten Zeitgenossen outet, die möglichst ungeniert glauben,
"Tabus brechen" zu müssen.

Wer nun nicht erklärt, worin der Unterschied von Kritik mit Antisemitismus 
liegt, sondern sicherheitshalber Philosemitismus heuchelt, wird den Verirrten 
wohl so wenig helfen wie denen, die vor ihnen gehütet gehören.

Auch das ist eine dialektische Verbundenheit: der Philosemitismus und 
Antisemitismus.

Deutschland, das Land der Täter und Opfer, ist noch sehr viel weiter von
der weisen Multikulturalität entfernt, als es die von Tempel erkannte Diagnose
für Möllemänner, Westerwelles und Rexrodts beschreibt.

sven 

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