Berufsverbote

Verfasst am: 08.11.2004 15:35    

Titel: Mensch und Organisation

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gavagai hat folgendes geschrieben::
1) wenn man lesen kann, ist man im Vorteil.
Noah schrieb: Verfasst am: 07.11.2004 19:09 Wenn die Partei ..., dann verstößt sie gegen Prinzipien, die ihre Existenz verbieten.

Und Noah führte zutreffend aus, dass eine Partei kein Mensch sei.

Dem ist allenfalls einzuwenden, dass Menschen mitunter zu Zweckverbänden (insbesondere Parteien) ein pseudo-religiöses Verhältnis entwickeln ("Die Partei, die Partei hat immer recht"), so dass sich die Frage nach Rücksichtnahmen menschlich kaum minder stellt als bei Kirchen. Solche Menschen und Parteien verkennen dann jedoch den Zweck von Parteien im politischen System der Bundesrepublik Deutschland.

gavagai hat folgendes geschrieben::
2) Ein Verbot einer Partei kommt oft einer Existenzvernichtung nahe.

1. Das stimmt einfach nicht.
2. Die Parteien sollen keine "Existenzgrundlage" sein. Dass sie mit ihren teilweise gigantischen Apparaten vielen Menschen zur "Existenzgrundlage" darstellen, mag netter Nebeneffekt in mancherlei Hinsicht sein, ist aber ebenso politikschädigend in anderer Hinsicht.

Ich würde staunen, wenn ich Dir positive und negative Wirkungen näher ausführen müsste oder auch die eigentliche Funktion von Parteien.

gavagai hat folgendes geschrieben::
Heute noch leiden ausgebildtete Lehrer unterm berufsverbot, nur weil sie mal fürn ASTA Prospekte verteilt haben oder auf einer Versammlung des Spartakus waren.

Das ist in der Tat menschliche Tragik und zwar in hohem Ausmaß; s.o., deshalb möchte ich sehr wohl die pseudo-religiösen Identifikationen berücksichtigt sehen.

Aber im Ausmaß der Kritiklosigkeit, wie sie im Kontext der "internationalen Solidarität" gerade auch von deutschen Kommunisten gepflegt und blind gepredigt, nachgebetet wurde, war erkennbar, dass die Verstrickung der "Existenzgrundlage Partei" bzw. oft eher "Identifikation über die Parteimitgliedschaft" eigene Rücksichtnahme gegen andere zu sehr vermissen ließ, um daraus Unterrichtsstoff für öffentliche Schulen machen zu dürfen.
Im Gegenteil war es so, dass es in kaum einer Partei rücksichtsloser gegen innere Kritiker zuging als ausgerechnet in den Parteien, die ihre Politik für "wissenschaftlich" hielten und denen die Gleichberechtigung bis in die Produktionsprozesse hinein gehen sollte und sogar umgekehrt von dort aus den Menschen und die Demokratie definierte.

Es ist einfach unwahr, dass die DKP und SEW für das Grundgesetz einstanden, auch wenn das damals ihre Propaganda und nicht selten auch Selbstverständnis von Parteimitgliedern war.
Unwahr deshalb, weil sich diese Parteien keine Alternativen im Ziel ihrer Bestrebungen kannten oder erarbeiteten, die anders gewesen wäre als das, was sich z.B. in der DDR oder UdSSR durch Unterdrückung jeder Ideenkonkurrenz durch die Jahrzehnte mogelte.

Herbert, noch heute bin ich umgeben von Menschen, die Berufsverbote bekamen oder ihnen durch Wahl des Studiums auswichen, wie ich es tat.
Aber am 9.November war alles klar. Für mich jedenfalls zu 99 Prozent:-) Und immerhin: auch 1 Prozent ist wichtig, denn es steht halt meist für mehr.

Zuvor hatte man mich tatsächlich "verfolgt", sei es staatlich oder durch Nichtgewährung von ausreichendem Schutz gegen neonazistische Übergriffe. Das waren schreckliche Zeiten für meine Verwandten und Freunde, sogar auch für meine Partei und letztlich reaktionäre Parteispitze, all denen meine Opferbereitschaft zu weit gingen, denn ich wollte "Kommunist zum Anfassen" sein, sehr offen, sehr frei, vogelfrei.

Also erzähle mir nicht, was Weltanschauung für einen Menschen bedeuten kann. "Existenzgrundlage" war es indessen nicht in Alternativlosigkeit, sondern "alternativlos" nur im eigenen Wahn.

Es ist gerade das Paradoxe, dass ich das "wusste" und trotzdem mitmachte, weil ich mich zu sehr ins dualistische Schema des Ost-West-Konflikts begeben hatte.

Das Sündenregister des Westens war lang, ist es bis heute - und gab vortreffliche Legitimation für die eigene Haltung ab.

Auch die "Amigos in der CSU" gibt es ja tatsächlich, aber sie taugen nicht als Rechtfertigungsgrund, um die CSU mit Nazi-Parteien gleichzubringen, obwohl es zwischen allen Parteien widerliche Gemeinsamkeiten gibt. Aber auch ich denke mitunter unmoralisch über meine stets überdurchschnittlichen Sekretärinnen. Sie wissen es und nichts passiert - leider:-)

Entweder lernt man, mit solchen Dingen umzugehen, indem man sie zumindest bekennt, benennt, also ins Bewusstsein gerückt beherrschbar macht - oder man leistet der Doppelmoral Vorschub, dem Unterbewusstsein und der daraus resultierenden Unbeherrschtheit.

gavagai hat folgendes geschrieben::
3) Soll das heissen, ich darf Noah nicht mehr antworten?

Och Herbert! Nichts dergleichen habe ich im Sinn, wenn ich Deine Texte lese, so sehr sie mich auch zwischendurch peinigen:-), aber es ergeht anderen mit meinen Texten nicht anders und es wäre ja wohl auch eher eine Frage zwischen Dir und Noah.
Ich wünsche Dir, mir, Noah allerdings, dass Du Noah uminterpretieren solltest, indem Du ihm Deine Vorstellungswelt von "Existenzgrundlagen" zur Konsequenz machst, denn solche Konsequenz hat es für Noah zurecht nicht.

Es ist wahr: Durch Berufsverbote wurden Menschen ganze Leben verdorben, aber die Berufsverbote waren nicht falsch, so erbärmlich sie in ihren Methoden waren.
Solch Erleiden des eigenen "Schicksals", obwohl man "der Welt nur das Beste wollte" insbesondere für solche Menschen schlimm, von denen viele bis in die letzte Konsequenz altruistisch waren. Aber das ändert doch nichts am Tatbestand ihrer Irrtümer.
Während diejenigen, denen es wirtschaftliche Existenzgrundlage war, oft ganz anders und karrieristisch getypt waren.

Das Leiden an sich heiligt keinerlei "Schicksal" - und so wenig, wie selbstverständlich auch nicht heiligt, mit welchen Methoden man gegen Menschen wie uns vorging.

Bessere Moral verbietet einseitige Betrachtungsweisen. Aus dieser Erfahrung heraus ist übrigens auch ein Teil meines Umgangs mit Rechtsextremisten, wobei ich ihnen meist mühelos unterscheiden kann, was Lüge und Selbstbetrug ist. Und meist merken sie es doch auch sich selbst an, aber sie heiligen sich dennoch die Mittel - und alles drei gehört widersprochen.

Herbert, es ist Wahn, wenn Du Nazis und Scientologen Privilegien verschaffen willst, um die "Großen" zu ärgern. Du gibst es doch sogar zu, dass dies Dein Anliegen ist. Das wäre wie die RAF-Ideologie >> Verhältnisse verschlechtern, damit sie platzen und daraus entstehe das Gute. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Auf vulkanischer Erde gedeihen die besten Oliven. Aber es dauert, Herbert. Herbert, die Schäden und die Zeit würden zum Betrug an den Lebenden, an den darin Verbrennenden ohnehin. - Die Asche taugt nicht als Plan.

Ich hatte vor einigen Tagen Geburtstag. Ach, waren die Glückwünsche lieb: "Bleib wie Du bist!", hieß es in Texten und Sprüchen auch von Leuten, die ganz, ganz anderer Ansichten sind, so dass ich es in manchem Fall auch nicht recht glauben mochte. In meiner Replik fand ich die Lösung für die sich daraus ergebenden Gewissenskonflikte: "Bleib wie Du bist, also in Entwicklung!"

So sollte es uns beiden sein. Die Kontinuität der Veränderlichkeit. Die Freude daran, gerade auch den größeren Unsinn zu überwinden, ist nicht immer nur "Opfer", sondern größerer Gewinn. Und nur, wenn wir das rüberbringen, dann löst sich vielleicht auch Rechtsextremisten mal schneller, was ihnen jetzt so überwichtig scheint und all anderes drunter leidet. Wir müssen solche Entwicklungen nicht immer mitbekommen, aber es gibt sie. Manchmal melden sich welche, schreiben ganz lieb, wer sie bei uns mal Böses waren. Viel mehr werden es sein, die einfach nur vergessen, welch einen Unfug sie einmal schick fanden.

Bei Dir und mir mag es in Gegenrichtung so ernsthaft gewesen sein, dass uns solch Vergessen nicht möglich ist, aber wir sollten verzeihen, damit man uns verzeihen kann:-) Ich habe keinen Grund zur Beschönigung.

Ich liebe die Menschen von "damals" bis heute. Als Menschen! Herbert, als Menschen. Sogar auch die, die menschlich gänzlich versagten.

Auch darum schrieb ich die www.friedensmaxime.de - ich habe jedoch damit auch immer die Sorge, dass sich die Moral wieder vergisst, wenn man zu sehr in die Mangel genommen wird. Dann versagen wir sämtlich, jede Wissenschaft und jede Religion.

Grüße von Sven

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