Ernst-Wolfgang Böckenförde

Hannah Arendt Preis für politisches Denken 2004

an Ernst-Wolfgang Böckenförde
(Bundesverfassungsrichter a. D.)

Die international besetzte Jury des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken hat in diesem Jahr den mit 7.500 € dotierten Preis an den Rechtsphilosophen und Bundesverfassungsrichter a. D. Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst-Wolfgang Böckenförde vergeben. Die Jury würdigt mit ihrer Entscheidung nicht nur die produktive Rolle, die Böckenförde durch seine fundierten Interventionen in verfassungsrechtlichen Kontroversen gespielt hat, sondern auch seine Beiträge, die sich mit der Stellung von Religion in modernen säkularen Gesellschaften beschäftigen. Von ihm stammt das berühmte Diktum, dass „der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen (lebt), die er selbst nicht garantieren kann.“ Tatsächlich hat Ernst-Wolfgang Böckenförde (als bekennender Katholik und Sozialdemokrat) wie kaum ein anderer Denker in der Bundesrepublik darauf hingewiesen, dass politisch-theologische Fragen auch in modernen Gesellschaften nicht als erledigt betrachtet werden können. „Das Politische“, so Böckenförde, „ist kein abgrenzbarer Gegenstandsbereich, der neben oder unterhalb des religiösen Bereichs steht, es stellt vielmehr ein öffentliches Beziehungsfeld zwischen Menschen und Menschengruppen dar, das durch einen bestimmten Intensitätsgrad der Assoziation oder Dissoziation gekennzeichnet ist (…).“

Mit diesem Verständnis des Politischen fordert Böckenförde jene Tendenzen der heutigen Gesellschaftspolitik heraus, in denen das Religiöse unserer Zeit nur in seinen „fundamentalistischen“ oder rein privat-moralischen Formen existieren kann und damit aus dem Bereich des Politischen radikal herauszuhalten ist. Dass es dabei nicht nur um eine philosophische bzw. theoretische Frage geht, sondern um eine Frage von praktisch-politischer Relevanz, zeigt die Auseinandersetzung um das christliche Erbe Europas und die Aufnahme der Türkei in die EU. Nicht zufällig wird sich deshalb auch der Festvortrag von Ernst-Wolfgang Böckenförde anlässlich der Preisverleihung mit dem Thema „Europa und die Türkei. Die Europäische Union am Scheideweg?“ beschäftigen.

Die Verleihung des Preises findet am 03. Dezember 2004 um 18.00 Uhr in der Oberen Rathaushalle statt. Bürgermeister Dr. Henning Scherf wird am Ende der Preiszeremonie das Wort ergreifen und den Preis übergeben. Als Laudatoren würdigen Joachim Gauck (Preisträger des Hannah Arendt Preises für politisches Denken 1997) und Dr. Tine Stein (Freie Universität Berlin) den diesjährigen Preisträger. Für die Jury des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken wird Frau Prof. Antonia Grunenberg, für die Heinrich-Böll-Stiftung das Vorstandsmitglied Ralf Fücks (Senator a.D.) sprechen.


Kurzbiographie

Ernst-Wolfgang Böckenförde wurde am 19. September 1930 in Kassel geboren. Nach seiner Promotion und Habilitation hat er von 1964 bis 1969 Rechtsphilosophie sowie Verfassungs- und Rechtsgeschichte an der Universität Heidelberg gelehrt. Danach wechselte er auf eine Professur für öffentliches Recht nach Bielefeld und nahm 1977 einen Ruf an die Juritische Fakultät in Freiburg im Breisgau an, wo er bis zu seiner Emeritierung  im Jahr 1995 lehrte. Seit 1970 ist er Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, von 1971 bis 1976 war er Mitglied der Enquetekommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages und 1983 wurde er schließlich in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts berufen und nahm diese Funktion bis 1996 wahr.

Ernst-Wolfgang Böckenförde gehörte seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn zu den Vordenkern in der öffentlichen Auseinandersetzung um das Verhältnis von Staat und Kirche, Politik und Religion gehört. So setzte er  u. a. mit seinem Aufsatz über den „Katholizismus im Jahre 1933“ die Diskussion über die Verstrickung von Kirche und NS-Staat in Gang. Als Verfassungsjurist hat er sich vor allem mit der Unterscheidung von Gesetz und gesetzgebender Gewalt sowie dem Verhältnis von Staat und Individuum befasst.

Quelle:  www.Boell.de  Böll-Stiftung Presseerklärung 200411

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