Friedensforschung und internationale Strafgerichtsbarkeit

Donnerstag 3. Juli 2003, 11:25 Uhr
Präsident und Kriegsverbrecher

Kommentar

Freetown (AP) Noch ist Charles Taylor im vom Bürgerkrieg zerrissenen Liberia Präsident. Im mühsam befriedeten Nachbarland Sierra Leone ist der 55-Jährige der meistgesuchte Kriegsverbrecher. «Taylor hat die Waffen gekauft, mit denen Sierra Leones Kinder getötet wurden», sagt Mohamad Bah, Bewohner eines Lagers für Kriegsopfer in Freetown. Taylor gilt als Finanzier der zehnjährigen Schreckenskampagne, mit der Rebellen in den 90er Jahren das Land überzogen. Bah ist eines von mehreren tausend Opfern, die dabei grausam verstümmelt wurden - ihm wurde der Arm abgehackt.  
Taylor, damals noch nicht Präsident, soll für die Unterstützung der Rebellen in Sierra Leone mit Rohdiamanten entschädigt worden sein, die er zur Finanzierung seiner eigenen Revolte in Liberia einsetzte. Während er 1997 zum liberianischen Staatschef gewählt wurde, wüteten seine Verbündeten in Sierra Leone weiter. Neben der Verstümmelung und Tötung mehrerer zehntausend Einwohner werden den Rebellen der Revolutionären Vereinigten Front (RUF) Massenvergewaltigungen und der Einsatz von Kindersoldaten vorgeworfen.  
Am 4. Juni hat das internationale Kriegsverbrecher-Tribunal in Sierra Leone Anklage gegen Taylor erhoben. Obwohl das Vorgehen des Gerichts bei der Bevölkerung auf breite Zustimmung stößt, kritisieren einige Beobachter den Zeitpunkt der Anklage. Ihrer Meinung nach trug das Timing zur Eskalation des Bürgerkriegs in Liberia bei: Die Anklage ereilte Taylor in Ghana, wo er sich gerade zu Friedensgesprächen mit Rebellen aufhielt, die bereits 60 Prozent seines Landes kontrollieren. Der Präsident hatte dort seinen baldigen Rücktritt in Aussicht gestellt. Aus Angst vor einer Verhaftung kehrte er jedoch vorzeitig nach Liberia zurück, und die Kämpfe eskalierten.

schwierig

«Die internationale Gemeinschaft hat die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Taylor vor Gericht gestellt wird. Aber sie hätten den Zeitpunkt geschickter wählen können», sagt die sierraleonische Anwältin Glenna Thompson. Ähnlich sieht es Brigadegeneral Ijaz Awan, der Kommandeur der pakistanischen Einheit der UN-Friedenstruppe im Osten Sierra Leones: «Nach seinem Rücktritt hätte man Taylor anklagen sollen.»  
Am Donnerstagmorgen hat Taylor unter wachsendem Druck der USA angeboten, Liberia in drei Monaten zu verlassen. Gleichzeitig rief er das Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone auf, die Anklage gegen ihn fallen zu lassen. Ob er dies zur Bedingung für seinen Rücktritt macht, war indessen nicht eindeutig. Der Chefankläger des Tribunals, David Crane, hält Kritik am Zeitpunkt der Anklageerhebung in jedem Fall für unberechtigt: «Ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte», sagt der Amerikaner, einer der UN-Juristen an dem teils mit Einheimischen, teils mit Ausländern besetzten Gericht. Schließlich hätten die bei den Friedensgesprächen in Ghana versammelten westafrikanischen Staatschefs ihren Kollegen Taylor sofort festnehmen können. «Für die unglückliche Situation in Liberia tragen sie die Verantwortung», sagt Crane.