Gorbatschow 2021-03-02

2.3.2021 und Gorbatschows 90. Geburtstag - Ganz liebe Gratulation !
Markus S. Rabanus

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Diskussion, ob Gorbatschow Schuld am Untergang der Sowjetunion habe

Lb. U., da geht uns sehr ähnlich im Kopfe um, denn ich hatte stundenlang geschrieben, aber mochte es halbgar nicht posten.

Auch die "gerufenen Geister" hatte ich drin, zumal ich glaubte, dass es davon gäbe, obgleich mir Jahre zuvor ziemlich eingemeißelt schien, dass es für solche Geister an Freiheit fehle, sich und Programme zu entwickeln - und darum auch in der Vorgeschichte die systemimmanenten Umbrüche scheiterten, zumal sich mit den alten Geistern schwerlich Neues machen lässt.

Aber Glasnost konnte Auftakt sein - für Perestroika, wenn sich das in einem Einparteien-System überhaupt trennen lässt, obendrein mit "demokratischem Zentralismus".

Auch daran rüttelte Gorbatschow, sprach steil vom "pluralistischen Sozialismus" und gestand ein, dass die Subjektivität des angeblich "wissenschaftlichen Sozialismus" zwar mit aller Staatsgewalt geleugnet, aber allgegenwärtig war.

Solch' ideologische Öffnung rechtfertigte Euphorie, leider nur geisteswissenschaftlich, denn es war sofort begleitet von schlimmster Gehässigkeit in den alten Apparaten, die sich nach 68 Jahren permanenter Schleimerei und Generalsekretärs-Nachbeterei in allen vorher "moskautreuen" Parteizentralen gegen Gorbatschows Kurs verschworen.

Das geschah in den ersten Jahren zwar weniger öffentlich, denn von Gorbatschows Sympathien im Westen wollten viele profitieren.

Gorbatschows Macht schien mir daraus, dass er im KPdSU-ZK von einigen wenigen umgeben war, die ihn stützten, während andere entweder geistig in Rente waren oder wussten, dass auch sie mit restaurativen Maßnahmen scheitern würden - bevor sie 1991 gegen Gorbatschow putschten und unwillentlich Jelzin zum Herrscher machten.

Kurzum: Gorbatschow "rief Geister", von denen es zu wenige gab - und geriet zwischen die Fronten des alten Apparates einerseits und die mafiösen Privatisierer, die den staatlichen Machtverlust nutzten.

Zunehmend stellten sich weitere ungerufene Geister ein - Separatisten, ließen sich weder durch Liebesschwüre noch Freiheiten besänftigen, sagten "?????? ??????? ???? ?? ?????" zu Moskau, falls "Nimmer wiedersehen" von Google richtig übersetzt - Ich hatte mehrfach mit Russisch begonnen, aber genoss einerseits die hohe Kunst russischer Simultanübersetzer und andererseits war vieles zu offenes Geheimnis und dem Diskurs vorenthalten, allenfalls zynischen Scherzen.

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Andropow fand ich interessant. - "Juri statt Jura" witzelte ich damals, aber 'nen Plan gab es auch bei ihm nicht, von dem in der SU zu spüren gewesen wäre oder sich bspw. die DDR zu befassen hätte veranlasst sehen müssen. - Und aus dem Kreml-Krankenhaus kam dann alsbald nichts mehr bzw. ein anderer hinein.

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Jelzin war mir ein Graus. Dass vom Westen hofiert, wunderte nicht, zumal er sein Russland an die Börse brachte. Aber es war riskantes Spiel, dass solch' ständig besoffener Strolch die Knöpfe zum Weltuntergang hatte. - Insofern Hofierung vielleicht alternativlos.

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Der Kalte Krieg war in seiner Gefährlichkeit hüben wie drüben massivst verharmlost (wie heute nicht anders), aber auch stets instrumentalisiert für reaktionären Konformismus.
Damit brach Gorbatschow - und das System brach zusammen, doch nicht an Gorbatschow, sondern an sich selbst, weil über das Wettrüsten hinaus zu wenig gelang.

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Die postsowjetischen Jahrzehnte prägten seither antikommunistische Verteufelung in Sendeschleife, die dennoch mit Romantisierung gescheiterter Verhältnisse korrespondiert, denn die Romantisierung geht eher bloß mit Versorgungsansprüchen einher als mit "produktiven Sozialismus", wie es mit der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" aus dem Jahre 1971 Beschlusslage war - und ziemlich selbstverständlich

Auf persönlicher Ebene vieler Damaliger vollzog sich der Rückzug ins Private, teils erleichtert, sich "endlich um sich selbst kümmern" zu können, teils frustriert, weil entweder Statusverluste der politischen Klasse erleidend oder dass die Menschheitsidee einer klassenlosen Gesellschaft so beschädigt in die Brüche ging.

Aber zweierlei Trost darf sein:
1. Die Menschheit als Spezies hatte den Kalten Krieg überlebt.
2. Besser abgewählt als geköpft.

Markus S. Rabanus  4.3.2021    >>  FB-Diskussion 


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