Kritik am Aufruf
zum Holocaust-Mahnmal
"Frankfurter Rundschau", 30.Januar 1989 |
Internet-Journal.de |
Aufruf | Kritik |
der
Bürgerinitiative "Perspektive Berlin" an den Berliner Senat,
die Regierungen der Bundesländer, die Bundesregierung:
Ein halbes Jahrhundert ist seit der Machtübernahme der Nazis und dem Mord an den Juden Europas vergangen. Aber auf deutschem Boden, im Land der Täter, gibt es bis heute keine zentrale Gedenkstätte, die an diesen einmaligen Völkermord, und kein Mahnmal, das an die Opfer erinnert. Das ist eine Schande. Deshalb fordern wir, endlich für die Millionen ermordeten Juden ein unübersehbares Mahnmal in Berlin zu errichten. Und zwar auf dem ehemaligen GESTAPO-Gelände, dem Sitz des Reichssicherheitsamtes, der Mordzentrale in der Reichshauptstadt. Die Errichtung dieses Mahnmals ist eine Verpflichtung für alle Deutschen in Ost und West. |
Die
Bürgerinitiative "Perspektive Berlin" würde sich
zutreffender "Retrospektive Berlin" nennen, denn sie ist
rückwärts gewandt, in die fatale Entfremdung des Menschen vom
Menschen.
Die Forderung nach einer "zentrale Gedenkstätte" ist in einer Weise formuliert, die jede bisherige Erinnerungskultur ignoriert und sogar als "Schande" diffamiert. Der Aufruf zeugt von erschütternder Unbekümmertheit um politische Wahrheit und Wirkung: Die Wahrheit ist, dass es kein "Land der Täter" gibt, sondern ein "Land mit vielen Tätern" war, was der entscheidende Unterschied zur falschen Kollektivschuldthese ist, die aus Opfern Täter macht. Wer darin nicht genau ist, obwohl es sein THEMA ist, aber trotzdem diese Grenze verwischt, wirkt NICHT antifaschistisch, sondern gibt Wasser auf die Mühlen des Faschismus, denn aus solcher Eindimensionalität resultieren jene Kollektivschuldkomplexe, die sich alte und neue Nazis zunutze machen, um sich als Anwälte der deutschen Nation aufzuspielen. |
einzelne Fragen |
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Stört
denn nicht, dass der Aufruf von Personen unterzeichnet ist, die dir ansonsten politisch am nächsten stehen? |
Die
Unterzeichner des Aufrufs nehme ich sämtlich als Antifaschisten ernst,
aber das kann kein Grund sein, sie aus der Kritik zu entlassen. Im Gegenteil erwarte ich gerade von diesen Leuten größere Einsicht und exaktere Kundgabe. Auf der "richtigen Seite" zu stehen, genügt allein nicht. Man muss dort auch das Richtige tun. Antifaschisten
müssen lernen, auch zu Antifaschisten "NEIN" sagen zu können. |
Braucht es ein weiteres Holocaust-Mahnmal überhaupt? | im Jahr
2001 schrieb ich:
1. Ein Mahnmal ist nur so gut, was es bewirkt. 2. Erinnerung allein genügt nicht, Erinnerung kann sogar falsch sein, wenn sie nicht den Weg zur Verständigung weist. Verständnis, Verständigung und Versöhnung sind Unterschiedliches, wobei jedes schon Teil des anderen ist, obwohl weder zwangsläufig Voraussetzung noch Ergebnis. Es sollte um den DIALOG gehen als Alternative sowohl zur Anfeindung als auch zum gefährlichen Schweigen. Nur so macht ein Mahnmal Sinn: Was trägt es zum Verständnis bei? Oder vermehren sich Missverständnisse und Unverständnis? |
Ist die Forderung nach einem "zentralen Mahnmal" richtig? | Diese
Frage ist politisch entschieden, denn das "Zentrale
Holocaust-Mahnmal" wird gebaut. Allerdings wird sich die Frage der Richtigkeit erst mit dem Ergebnis beantworten. Ich persönlich bin eher skeptisch gegen zentrale Großprojekte, die häufig genug nur Kulisse für solche Leute sind, die nur Bühnen für ihre Selbstillusionierung, Selbstgefälligkeiten und Sonntagsreden suchen. Ich persönlich bin eher für die kleinen Mahnmale, für die Namen der Ermordeten in den Straßen, in denen sie wohnten und aus denen sie unter den Augen ihrer uncouragierten Nachbarn entführt wurden. Für die Namen von Professoren, Studenten, Lehrern und Schülern, die "plötzlich verschwanden". Unaufdringlich, aber präsent. |
Also eher kein Mahnmal? | Das geplante Mahnmal eher nicht, aber es ist eben anders entschieden. |
Und das Dokumentationszentrum? | Das
geplante zentrale Dokumentationszentrum hingegen befürworte ich sehr,
denn eine Zusammenschau möglichst vieler Fakten zum Holocaust ist zugleich Chance
für höhere Autorität und Optimierung des Informationsangebots. Doch anstelle der aufwendigen Architektur, so sehr sie mir das Modell ästhetisch gefällt, hätte ich einen funktionaleren, kostengünstigeren Bau mit Erweiterungsmöglichkeiten vorgezogen. Aber auch da lässt sich in Zeiten modernster Kommunikationsmittel vieles anders entwickeln als bislang geplant ist und vor allem würde ich mich freuen, wenn das Informationsangebot auch massiv und vielsprachig ins Internet gelangen würde. Sensationell ist, dass Avner Shalev (Direktor der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem) die Namen der ermordeten Juden Europas für das in Berlin zu errichtende Denkmal zur Verfügung stellen wird, was bisher noch keiner anderen Institution vergönnt war. |
Zum Ort des Holocaust-Mahnmals: | Der Ort ist passend gewählt. Es ist der "Ort der Mordzentrale" und würde nun mit Geschichtsaufarbeitung überbaut. Das ist die prinzipiell richtige Symbolik. |
Wer von "Prinzip" spricht, meint "Ausnahmen"? | Nicht
unbedingt. Ich weiß es nicht und kann nur beobachten, wie sich mir die
Baustelle entwickelt. Der erste Blick auf die Pläne war mir ein Graus. Und noch bestätigt sich das mit jedem Besuch: Stelen, Grabanlagen, die den Menschen überragen. Ich bin schnell abgeneigt, wenn Symbole den Menschen überragen, weil es schon so vieles gibt, was ihn beherrscht. Die übergroßen Symbole erscheinen mir typischer für Diktatur. Und viele Steelen sind nicht nur hoch, sondern beengen den Besucher. Er wird zwar viele Ein- und Ausgänge haben, unzählige Wege er haben, aber das macht keine Vielfalt, keine Freiheit, sondern nur vereinsamende Monotonie in vielen Variationen. |
Aber das könnte doch so gewollt sein! | Ja, das wird so sein, aber müsste man deshalb längst nicht gut finden, wenn es so gelänge. |
Soll das Holocaust-Mahnmal denn ein "Lustgarten" sein? | Dann
würden wir uns missverstehen, denn ein Mahnmal kann kein Mahnmal sein,
wenn es in der Stimmung das Thema verfehlt. Und selbst Kinder müssen
nicht immer und überall lachen. Um "Lustgarten" geht es nicht, sondern um die Perspektive des Menschen auf Geschichte, ob und wie er sich wehren kann, damit sie ihm nicht zum Verhängnis wird. |
War der Holocaust kein "Verhängnis"? | Oh
doch, Verhängnis aus vielen Perspektiven, vor allem denen der Opfer,
aber es war eben nicht nur "Verhängnis", denn es ist
unlösbar verbunden mit den Bedingungen, die zum Holocaust führten: der Verrat an
den Juden und auch das Schweigen der Nachbarn, die
Untätigkeit der übrigen Welt - das und mehr waren die Bedingungen für
den Holocaust. Eine unermessliche Einsamkeit der Opfer in den Fängen
der Täter. Aus diesem Zusammenhang, dass es eben nicht nur Verhängnis war, sondern toleriert vorbereitetes Verbrechen, ergeben sich die tatsächlichen Lehren der Geschichte, frühzeitig einzuschreiten - und wenn die Worte nicht reichen, was nur allzu gewöhnlich ist, dann auch mit Recht und Gewalt. |
Dann gibt es also "gerechte Gewalt"? | So sehr einem Gewalt zuwider ist, kommt keine uns bekannte Gesellschaftsordnung ohne sie aus. Ordnung setzt Recht voraus. Gewalt ohne Recht ist schon vorab "ungerecht". Die Frage gilt also stets zuvor nach dem Recht, wie es zustande kommt, was es will, wie es spricht und über Gewaltanwendung entscheidet. |
Dann gibt es also "gerechte Kriege"? | >> gerechte Kriege |
Und der Zweite Weltkrieg? | Der war auf Seiten Alliierten schon deshalb "gerecht", weil das Recht auf Notwehr nicht erst den Richterspruch braucht. Aber wir haben jetzt weitgehenden Frieden und könnten viel mehr tun, dass sich viele Kriegssituationen gar nicht so wiederholen müssten, wie wir es leider noch immer erleben. Nur führt das jetzt zu weit ab vom Thema des Mahnmals. |
Also die "Nachbarn" waren Teilbedingung des Holocaust und trotzdem ist Deutschland kein "Land der Täter"? | Deutschland
"gehörte" den Tätern nicht, so sehr sie es beherrschten.
Die Nazis hatten kein Recht auf das Land, schon gar nicht zum Morden.
NS-Deutschland war
nicht das "Land der Täter", sondern das "Land des
Holocaust", zu dem es nicht über Nacht wurde. |
Also "ausländische Mitschuld"? |
Der Begriff "Mitschuld" ist missverständlich, denn Inaktivität ist nur selten mit Täterschaft in einen Topf zu werfen. Immerhin aber
"versagten" die staatlichen
Nachbarn in den Fragen von Wiederbewaffnung, der Annexionen, von
Krieg und Frieden kaum geringer als die zuschauenden Nachbarn, wie
die SA nebenan die Juden "abholte". Man würde die wahren Helden mit den Tätern in einen Topf werfen. |
Dann gibt es auch "falsche Helden"? | Jede Menge! Nämlich diejenigen, die auf Seiten der Nazis zwar Todesmut bewiesen, aber mit ihrem dummen "Führer, wir folgen Dir!" zu Angreifern, Besatzern und zu Killern wurden. |
Und fehlen dann nicht auf dem Holocaust-Mahnmal die Helden des Widerstandes? | Auch das ist so ein Irrtum, denn der jüdische Widerstand selbst war immens. Auch das sollte das Informationszentrum dokumentieren. Der Aufstand im Warschauer Ghetto war einer dieser Höhepunkte, so grausam verlustreich er auch endete. |
Und der deutsche Widerstand? | Die deutschen Juden waren "deutscher Widerstand", wenngleich die Ausgrenzung auch bei ihnen wirkte und sie sich mehr und mehr nichtdeutsch verstanden. |
Dann eben der "nichtjüdische Widerstand"? | Der von Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen beispielsweise? Sicher war deren Widerstand auch gegen die Judenverfolgung gerichtet, aber jede dieser Opfergruppen war selbst so gejagt, dass ihnen für Solidarität mit anderen Opfergruppen nur wenig Gelegenheit blieb. |
denn auch das sollte klar sein, dass wir die Opfer ehren, aber den Widerstand
Das Aufzeigen von Mitschuld schmälert zudem rein gar nichts an der Schuld des NS-Regimes, denn zurecht klagt niemand denjenigen des Mordes oder auch nur der Beihilfe an, der einem Mord tatenlos zuschaut - sei es, weil er kein Held ist, sei es, dass er seinen Augen nicht traut. Und beides gab es. Die Welt hat gehofft, gewartet, bis es zu spät war. So wenig Deutschland ein "Land der Katholiken" wäre, Es blieb ihr
Deutschland verkennt die Wirkungen, weil ihm die
Praxis der antifaschistischen Auseinandersetzung mit denkenden und
fühlenden Menschen fehlt. |
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Zur "Verantwortung aller Deutschen": | Ich
persönlich empfinde mich in "besonderer Verantwortung dafür, dass
sich solche Verbrechen nicht wiederholen" und deshalb ist es mir
der Holocaust "THEMA". Diese "deutsche" BETROFFENHEIT ergibt sich für mich beispielsweise daraus, dass die Mordbefehle in meiner Sprache ertönten, die ich mehr liebe als jede andere Sprache, weil sie ein so wichtiger Teil meiner Identität ist. Das ist kein "Muss", denn andere Freunde lieben andere Sprachen mehr und trotzdem gibt es auch ihnen Gründe, dass "Jedem das Seine" und "Arbeit macht frei" sie vielfältige "Besonderheit des Deutschen" spüren lassen. Nein, da geht es nicht um die "nationale Identität", denn die Nation ist allenfalls "Umgebung von Identität", so sehr Nationalisten und auch manche Patrioten darauf bedacht sind, dass sich Identität über die Nationalität herzustellen und zu binden habe. Kurzum: Wenn ich
Auschwitz zweimal besuchte, dann war ich beide Male
"Deutscher" und es ekelten mich die Blutspuren, die in meiner
Sprache dort "konzentriert" zu spüren sind. |
Ist der Holocaust ein historisches Erbe? | Ja,
"historisches Erbe" ist der Holocaust schon, aber ein
Verbrechen erbt man nicht ohne den Kontext bestehend aus Opfern,
Tätern, Schaulustigen und Wegguckern, zwischen denen man sich nicht
entscheiden dürfte. Es soll jedem erlaubt sein, sich die Rosinen deutscher und jeder Geschichte zu picken, die ihm schmecken, denn darin besteht die politische Freiheit jedes Menschen, dass er sich aussuchen darf, mit wem und was er sich in der Geschichte identifiziert. Attention: "sich identifiziert", nicht etwa "national identifiziert", denn das ist die Falle allen Nationalismus. Wer die Frage nach der "besonderen Verantwortung der Deutschen" nicht den Menschen zur höchstpersönlichen Entscheidung belässt, mag es so gut mit den Opfern meinen, wie er glaubt, aber er verbleibt damit im ideologischen Denkschema des Nationalsozialismus. Die bloße Umkehrung des Vorzeichens ändert daran nichts, sondern bleibt sich gegenseitiges Argument. Die Erbsünde mag die
Wahrheit von Religionen sein, die Erbschuld mag politische
Realität sein, |
Kann aus solcher Beliebigkeit Verantwortung erwachsen? | Keine
Beliebigkeit, sondern Freiheit, denn Beliebigkeit wäre, dass es den
Menschen gleichgültig wäre, womit sie sich identifizieren oder
identifiziert werden. Das aber ist gerade nicht der Fall. Nur wenn jemand sagt: "Du stehe für Auschwitz ein! Und für die Zwangsarbeit!", was hat derjenige noch zu verlieren? Außer sich zu wehren, indem er entweder erkennt, dass er nicht Auschwitz ist, also der Ankläger irrt - oder indem er Auschwitz klein redet, damit ihm die Haftung erspart bleibt, in die man ihn zu unrecht stellt und die er nicht zu widerlegen versteht. |
Also bist Du gegen Wiedergutmachung und Entschädigung? | Im Gegenteil, ich war und bin immer dafür, wenngleich es inhaltlich stets nur um Symbolik gehen kann, aber eine Verpflichtung gibt es dazu nur für die Täter, womit sich schon ein weiteres Problem auftut, denn die Schuld hat so klare Grenzen nicht und doch diejenige, dass keinesfalls aus ihr eine Kollektivschuld würde. |
Aber wer redet denn von "Kollektivschuld"? | Das
stimmt. Kein Gescheiter redet von "Kollektivschuld". Verantwortung ist nämlich solange ein freiwillig Ding, es sei denn, es bestünde eine Schuld. |
Also keine "Verantwortung"? | "Keine
Verantwortung" gibt es nicht und nie. Es geht allein um die Frage,
ob sich für zum Beispiel für "Kevin aus Bottrop" mehr
Verantwortung aus dem Holocaust ergibt als für "Kevin aus
Chicago", denn das wäre nicht der Fall.
Beide "Kevins" können Verantwortung nur für solche Geschichte tragen, in der sie selbst versagten. Das ist die Antwort auf die Frage nach der "geschichtlichen Verantwortung". Beide "Kevins" haben gleiche Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft je nach Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen. Das ist die Antwort auf die Frage nach der "Gegenwart- und Zukunftsverantwortung". Es wird dabei einzig so sein, dass der "Kevin" aus Chicago weniger zu verantworten hat, was sich in Deutschland tut, wie auch der "Kevin" aus Bottrop weniger zu verantworten hat, was sich in den USA tut. Eine "besondere Verantwortung" ist allein darin "besondere", dass jemand "besonderen Einfluss nehmen" kann. Diese "Besonderheit" ist also so "deutsch" wie "amerikanisch", also gilt "allgemein". Verantwortung entsteht immer dann, wenn Unrecht geschieht und man Gelegenheit hat, es zu verhindern. Schuld erwächst aus Verantwortung, wenn jemand der Verantwortung nicht gerecht wird. |
Letzte Frage: Was wurde aus der Kritik, dass es kein Mahnmal für alle Opfergruppen wird? | Da
bin ich mir nicht mehr so sicher, denn das Argument,
dass die Leidenswege der verschiedenen Opfergruppen ebenfalls
verschieden waren, ist nicht von der Hand zu weisen und
"unspezifischer Mahnung" könnte die Wirkung verloren gehen,
gleichsam der Mahnung gegen das Böse in der Welt.
Dennoch bleibt es fader Beigeschmack, wenn ich mir das Mahnmal für den Holocaust an den Sinti und Roma annähernd versteckt im Gebüsch südlich des Reichstags vorstelle, dass sie sich zurück gesetzt fühlen könnten, denn zu sehr drängt sich der Vergleich von Leid und Gedenken mit der jüdischen Opfergruppe auf. |
Diskussion | Markus Rabanus 200310 |
>>> Die Ewig Gestrigen und das Holocaust-Mahnmal im Degussa-Streit
der älteste Text zum Mahnmal-Thema: Erinnerung kann sogar falsch sein