Nachtsicht-Aufnahme vom israelischen Einmarsch in den Gazastreifen 20090103
Propaganda
der Annäherung
Israel: "Gegossenes
Blei"
Hamas: "Tag des
Zorns"
Hamas: "Fallen
bereit"
Israel: "den Willen
brechen"
Hamas: "Den
Zionisten eine Lektion erteilen."
Israel: "Der Hamas
eine Lektion erteilen."
Die "Lektion" ist gestartet. In der Nacht marschierten die Israelis in
den Gazastreifen ein. Annäherung der Konfliktparteien. Auf Kugelreichweite. Das
ist der Konsens derer, die keinen Konsens wollen. Krankenhäuser füllen sich.
Die Kämpfer machen Überstunden. Die Ärzte auch. - Nur die Friedensverhandler
nicht.
Der ZDF-Nachrichtensprecher fragt im Gaza-Telefonat, ob die Bevölkerung denn
wenigstens eine Mitschuld der Hamas erkenne? Interessanter wäre gewesen, was
die Palästinenser von Merkels Alleinschuldvorwurf halten.
Der ZDF-Nachrichtensprecher nennt Saudi Arabien ein "gemäßigtes
Land". Wer an den "Culture
Clash" glaubt, müsste staunen, aber tut es nicht, denn Gerücht ist
Gerücht und Geschäft ist Geschäft.
Ägyptens Zurückhaltung erkläre sich der US-Finanzhilfe gegen die
Muslim-Bruderschaft. Auch Jordanien wird gelobt.
Wie lange halten die "Gemäßigten"
solch Lob aus? Wem gehören die reichlich gekauften Waffen, wenn es in Saudi
Arabien kippt? Oder in Pakistan? Wie
"gemäßigt" werden die Nachfolger Mubaraks sein? - Nur
Geschichtslose stellen sich die Nachfolger-Frage nicht, aber sie stellt sich
trotzdem - und in welcher Weise, das entscheidet sich vorher.
Die Haltung Deutschlands
Frau Merkel telefonierte mit Olmert. Die Alleinschuld liege bei der Hamas, es
gelte Ursache und Wirkung zu unterscheiden, sagt die studierte Physikerin. Aber
es ist kein Laborexperiment. Und darum ist kaum eine Ursache ohne Ursache. Um
solcher Endlosigkeit zu entgehen, gibt es nur eine Methode, die aber nicht
Ausblendung heißt, sondern Politikwechsel. Den forderte Merkel nicht, sondern
zelebriert den Schulterschluss, wie am Tage des Angriffs auf Bagdad.
Gleichschritt und die Reihen fest geschlossen, als sei Angriff die beste
Verteidigung - das alte Lied aller Krieger - unsere Bundeskanzlerin singt es
mit.
In Washington sagte sie mal: "Die
rotgrüne Regierung spricht nicht für alle Deutschen", womit sie
völkerrechtlich irrte, aber sie meinte damit, dass nicht alle einer Ansicht
seien. Damit hätte sie recht gehabt. Und nicht anders ist es heute, wenn sie
als meine Regierung für mich spricht.
Der Weltsicherheitsrat hat sich auf Mittwoch vertagt, denn die Großen und
Kleinen sind nicht einig, Mehrheitsentscheidungen würden am
"Veto-Recht" scheitern. Nur der UNO-Generalsekretär tanzt aus der
Reihe und fordert einen sofortigen Waffenstillstand. Es ist das Schicksal der
Weltmächte, dass aus ihnen zunächst bequemen Kandidaten schon bald immer
Generalsekretäre werden, die tun, was sie in diesem Menschheitsamt eben anders
spüren als aus den nationalen Herden: Gesamtverantwortung.
Wer ist die Hamas?
Das ZDF stellt die Hamas mit den Worten vor: "Was
sich hinter dem Kürzel Hamas versteckt: ...", aber hat sich da
jemals etwas "versteckt"? Wenn
nicht, so wäre es Unterstellung. Oder nur meine Spitzfindigkeit?
Die Hamas habe drei Glieder, a) die Partei, b) die Sozialorganisationen, c) "der
Terror", und Bilder von Yassin werden gezeigt, aber der wurde schon
vor Jahren beim Verlassen einer Moschee mit einer Helikopter-Rakete getötet.
Diese Info ersparte das ZDF. So lebt der Hassprediger nicht nur für seine
Anhänger weiter, sondern auch für seine Gegner und die dämliche
Weltöffentlichkeit, die sich solche Berichterstattung gefallen lässt.
Die Hamas wäre weniger "versteckt", wenn
sie dürfte, aber die Konfrontationspolitiker in unseren Reihen wollen eben nur
hören und verbreitet wissen, was am Hamas-Programm besonders missfällt, die
Auslöschung Israels ausschließlich, ausschließlich und zwar ausschließlich,
ausschließlich und immerzu. Als seien Drohung und Wirklichkeit identisch, als
seien Ziele unabänderlich, als seien Terroristen unveränderlich, als seien
nicht oft genug Biographien umgeschrieben worden, weil anderes wichtiger wurde.
Terroristen zu Freiheitskämpfern transformiert und umgekehrt, wie es grad
passend erscheint. Dann zählen die Toten nicht mehr oder zählen gleich
zehnfach. Politische Macht leistet sich keine Selbstkritik über die Heuchelei
hinaus, schon gar nicht dem Gegner gestehend, sonst wäre sie rasch hinweg, der
Mörderei anzuklagen, je nach Leistung.
Man beschimpfte ihn als "Spinner":
Jimmy Carter hatte sondiert, dass die Hamas zu einer "zehnjährigen
Waffenruhe" zwecks Palästinenserstaatsgründung bereit sei. Ein
zweifelhaftes Angebot, mit zweifelhaften Zielen, die Befristung absurd, aber es
hätte geprüft werden müssen, ob der Hamas-Spruch mit Substanz unterfüttert
werden kann.
Herr Olmert wollte das nicht, Frau Merkel auch nicht. Russland hätte es tun
müssen, und ausgerechnet der Irak-Krieger Tony Blair ist "Beauftragter
des Nahostquartetts" (UNO, USA, EU, Russland). Das ist "unser
Mann". Moskau macht mit, weil mit Leuten wie Blair das Scheitern des
Quartetts gesichert ist, denn der Nahostkonflikt belastet die NATO stärker als
Moskau. Auch diese Lektion lernt Frau Merkel nicht. Und Carter ist kein
US-Präsident mehr, dem sie Gefolgschaft andienen müsste. So schnell ist jemand
Geschichte. Und die Macht opportunistisch.
Wie wird es weitergehen? Was sind die Ziele der
Hamas?
Die Hamas-Chefs werden ihren Kämpfern Hoffnungen machen, dass sie die Israelis
im Häuserkampf stoppen können, damit der Gazastreifen "den Israelis ein
Friedhof wird" (O-Ton), so unwahrscheinlich das ist, während
wahrscheinlicher mehr Hamas-Kämpfer auf den Friedhof kommen, aber das taugt als
Motivation nicht.
Die Hamas wird draufhalten auf alles, was israelisch aussieht oder in den
eigenen Reihen zu früh die Weißen Fahnen hisst, die Israelis werden das nicht,
sondern versuchen, die Kämpfer von den Zivilisten zu unterscheiden.
Die Hamas wird ihre gefallenen Kämpfer später als Märtyrer feiern, denn
vorerst geht das nicht, zumal für den Moment zu behaupten effektiver ist,
Israel treffe nur unschuldige Zivilisten, womit etwas eingeräumt wäre, aber im
Trubel der Gefechte und weltweiten Empörung fällt widersprüchliches
Argumentieren nicht auf. Das Weltgewissen ist mit "Body
Counting" beschäftigt und überfordert genug, weil es dafür an
Technik fehlt, nicht aber an falschen Gerüchten.
Wahrscheinlich wird der Hamas nach und nach die Munition ausgehen, zunächst
für den herbei gewünschten Häuserkampf, dann auch für die Heckenschützen.
Schließlich werden die "Waffen
schweigen" = versteckt und wieder zum Pflasterstein gegriffen, was
die Propaganda leichter macht, wie in früheren Zeiten: "Israelische
Panzer gegen unbewaffnete Demonstranten!" - das steigert den Druck
der Weltöffentlichkeit auf Israel.
Und Israel? Der israelischen Operation "Gegossenes
Blei" wird zwar das Blei nicht ausgehen, aber die Argumente, sobald
der bewaffnete Widerstand nachlässt, gebrochen wird, und vorher schon der
Beschuss mit Hamas-Raketen endet, je weiter die Israelis vorrücken, weil die
Bastler weniger Zeit haben werden und weniger Gelegenheit zum Aufstellen der
Rampen, weil ohnehin Logik ist, alle Raketen zu verschießen, bevor die Israelis
da sind. Der Öffentlichkeit werden ein paar zerstörte Rampen präsentiert, als
Sieg über die Hamas, Rechtfertigung usw.
Ein weiteres Problem wird dann sein, ob sich die Hamas-Führer so lange
verstecken können, wie die Israelis die Besetzung aufrecht erhalten. Werden sie
entdeckt, getötet oder verhaftet, so amtieren andere Kommandanten in Syrien, im
Libanon und anderswo oder rücken aus den unteren Reihen nach. Neue Namen für
alte Politik - und nichts hat sich geändert, worauf es angekommen wäre.
Aber geändert hat sich das Stadtbild im Gazastreifen: noch mehr Zerstörung,
noch mehr Entfernung von zivilisierten Verhältnissen, noch mehr Verletzte und
Wunden, die heilen müssten. Und es reorganisieren sich die Bastelstuben.
Die Lektion wird sein, aber nicht verstanden: Geschichte wiederholt sich, wenn
man die Politik nicht ändert.
Nachgefragt, was das soll: "Wir wollen
Frieden! Unser Recht!"
Falsch, denn das passt nicht zusammen, weil Frieden nur sein kann, was
gemeinsames Recht erarbeitet und achtet. Wer mit der Hamas nicht reden mag, der
müsste dafür noch mehr mit Abbas wollen und tun. Aber auch das findet nicht
statt, kann Abbas den Kopf kosten und die Hamas stärken.
Markus Rabanus - Dialogie.de 20090104 >> Diskussion
Hamas kündigt Israel den Waffenstillstand Nahost Friedensforschung Dialog-Lexikon