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Vorwurf an die Redaktion von www.Nazis.de
: "Ihr verharmlost den Rechtsextremismus, wenn Ihr von ihm als >>Jugendkultur<< sprecht." Bezug: Skinheads - Jugendkultur im Bad-Boy-Schema |
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Antwort der Redaktion (Sven): Den Kulturbegriff ausschließlich positiv zu besetzen, würde bedeuten, dass er auf Großteile der Menschheitsgeschichte ("Hochkulturen") unanwendbar wäre. Kultur wird von mir in einer umfassenden Bedeutung benutzt, als ein Begriff im politischen Widerstreit, der über das Politische hinausgreift und sämtliche Umstände sozialer Interaktion zu erfassen sucht, die sich in geistigen, materiellen und strukturellen Beziehungen zeigen. Die Widerlichkeit der
politischen Inhalte und Wirkung des Neonazismus
erschwert die rationale Auseinandersetzung mit ihm. - Aufbegehren gegen Elternhaus inkl. Wertesystem, - Herausstrampeln aus der Familie und deren Reglement, - Suche nach inhaltlichen Alternativen, - Suche nach eigenem Platz in der Gesellschaft, Gruppenanschluss All diese "ganz normalen" Entwicklungsmomente im Reifeprozess des Individuums können extreme Ausprägung bekommen, je unglaubwürdiger das Nest des Jugendlichen ist: - wirtschaftliches Versagen oder wirtschaftlicher Misserfolg (Arbeitslosigkeit, Armut), - soziales Versagen, z.B. offensichtlicher Missbrauch sozialer Chancen, Scheinheiligkeit, - Dummheit, Lieblosigkeit, ... Zu diesem Nest gehört das komplette Milieu, also die anwesende Verwandtschaft, der Freundeskreis der Eltern, Fernsehangebot und milieu-spezifische Nutzungsgewohnheiten, die Wohngegend, die Schule (Lehrer), dort auch die Mitschüler mit häufig großem Anpassungsdruck (=z.B. "Markenklamotten"), dem der Einzelne entweder gewachsen ist oder dort "nicht mithalten" kann und wiederum nach dem "eigenen Weg" zu suchen beginnt, was wiederum schwer fallen kann, so dass die Neigungen größer werden können, sich mit solchen zusammenzuschließen, die ähnliche Sozialprobleme haben >> subkulturelle Szene, Drogenszene, Bandenbildung etc. als Alternative zu den Angeboten, die seitens der Erwachsenenwelt für den Jugendlichen formuliert, organisiert werden: z.B. Sportvereine, Musikschule usw., die beim "Problem-Jugendlichen" eben deshalb auf Ablehnung stoßen, weil sie dort auf nur auf zusätzliche Felder geraten würden, auf denen sich selbes Integrationsproblem wiederholt und verstärkt. Seitens der "angepassteren" Jugendlichen kommt es über all dies noch zu Ausgrenzung von Problem-Jugendlichen, was durch bessere Eltern und Lehrer zwar häufig Gegensteuerung erfährt, aber bei wenig Erfolg die "Isolation" verstärkt. Die Isolation ist indes keine Totale, denn der Mensch ist bei aller Individualität ein kategorisch soziales Wesen und wird sich neue soziale Einbindung suchen. Die annähernd automatische Folge von Ausgrenzung ist, dass sie den Alternativ-Angeboten die Ansprache an den Problem-Jugendlichen erleichtert. Bezogen auf den Rechtsextremismus kann man schlussfolgern: "Wer mit Rechtsextremisten nicht den Dialog führt, überlässt ihn dem Dialog mit Rechtsextremisten." Insbesondere systemoppositionelle Parteien machen sich den Generationskonflikt zunutze und suchen nach Möglichkeiten ihre politische Opposition mit auf Generationskonflikt behafteter Jugendkultur zu verbinden: oppositionelle Kanalisierung als Alternative zu systemkonformer Kanalisierung. Je weiter der Problem-Jugendliche aus der Normal- bzw. Soll-Gesellschaft ausgegrenzt ist, desto weniger ist er (auch mangels eigener Lebenserfahrung) in der Lage Weil, die Alternativ-Angebote als Scheinalternativen zu erkennen und wird seine Umkanalisierung verkennen, zumindest erdulden und mit Übernahme des alternativen Wertesystems aktiv unterstützen: "gemeinsame Kampferfahrung" verstärkt einerseits die Ausgrenzung seitens der Normal-Gesellschaft und wird zur "Versicherung" der subkulturellen Loyalität, allerdings einer nicht ungefährlichen Loyalität, weil sie sich allein auf personaler Beziehung innerhalb der subkulturellen Szene zu deren Selbstschutz gründet und die allgemeine Loyalität gegenüber Jedermann aufhebt: Treue, Aufrichtigkeit, Normeinhaltung im komplexen Sinne wird nur noch der eigenen Gruppe geschuldet, in der man sich zudem einredet, dass diese Gruppe von "der Gesellschaft", von "denen da oben" permanent "belogen, betrogen und verfolgt" würde - also eine Vermengung und Verkettung von Vorwürfen, die teilweise zutreffend, also glaubwürdig sind, teilweise jedoch unmittelbares Resultat eigenen Verhaltens sind: Gruppenmitglieder, die bei Straftaten gegen staatliches Recht erwischt werden, sind der Strafverfolgung ausgesetzt. Hinsichtlich der Zusammenhänge von Ursache und Wirkung schwindet in der Gruppe das Differenzierungsvermögen und der Problem-Jugendliche krimineller. In welchen Extremismus der Problem-Jugendliche entrückt, dürfte weitgehend von seinem Inneren unabhängig sein, stattdessen vielmehr von den dargebotenen "Chancen" bestimmt. Bei allem sollte das
hiermit beschriebene Szenario nicht als "automatisches"
aufgefasst sein, sondern es beschreibt nur Wirkungszusammenhänge,
innerhalb derer Jugendliche sehr wohl auch die Probleme erkennen und
ihren Weg korrigieren können. Insbesondere entfallen bei günstiger Entwicklung auf die Hauptantriebsmomente im Generationskonflikt, nämlich "gegen die Alten" zu sein, mit jedem Tag eigenen Älterwerdens: "Der Generationskonflikt verjährt buchstäblich." :-) Die Fragen müssen also lauten: Wie schafft man es, dass der Generationskonflikt nicht von Systemoppositionellen missbraucht wird? Wie schafft man es, dass Jugendliche und Gesellschaft im Generationskonflikt nicht zu schlimme Schäden leiden? Falsch ist es, den Neonazismus auf den politischen Antagonismus zu reduzieren, weil insbesondere bei Jugendlichen dieser Antagonismus meist nur Form des Generationskonflikts ist. Gesellschaftliche Dimension sven 06/2003 |
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