Rudolf Steiner, 1861 - 1925

österreich. Pädagoge und Philosoph, Begründer der Anthroposophie = die im Menschen schlummernde Seelenkraft solle durch geistige Schulung entwickelt werden. 

Rudolf Steiners Werk blieb mir über wenige Zitate, Texte hinaus zu umfangreich und in der Lektüre zu mythologisierend, also weitgehend unbekannt. 
Deshalb kann ich den Streit um seine Person und Pädagogik nicht hinreichend nachvollziehen, zumal gegen ihn erhobene  Rassismus- und Antisemitismus-Vorwürfe, sollten sie berechtigt sein, mit Worten von Steiner gegen den Rassismus und Antisemitismus im Widerspruch stünden: 

Ob Jude oder Germane ist einerlei

„Nur auf die gegenseitigen Wirkungen der Individuen sollte Wert gelegt werden. Es ist doch einerlei, ob jemand Jude oder Germane ist [...] Das ist so einfach, dass man fast dumm ist, wenn man es sagt. Wie dumm muss man aber erst sein, wenn man das Gegenteil sagt.”

(GA 31, Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901, 25.9.1897, S. 199)
Abfertigung des Antisemitismus

„Der Antisemitismus ist ein Hohn auf allen Glauben an die Ideen. Er spricht vor allem der Idee Hohn, dass die Menschheit höher steht als jede Form (Stamm, Rasse, Volk), in der sich die Menschheit auslebt.”

(GA 31, Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901, 20. und 27.November 1901, S. 412)

„Der Antisemitismus ist nicht allein für die Juden eine Gefahr, er ist es auch für die Nichtjuden. Er geht aus einer Gesinnung hervor, der es mit dem gesunden, geraden Urteil nicht Ernst ist. Er befördert eine solche Gesinnung. Und wer philosophisch denkt, sollte dem nicht ruhig zusehen. Der Glaube an die Ideen wird erst dann wieder zu seiner Geltung kommen, wenn wir den ihm entgegengesetzten Unglauben auf allen Gebieten so energisch als möglich bekämpfen.”

(GA 31, Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901, 20. und 27.November 1901, S. 413).

Der individuelle Geist des Menschen steht über allen Kollektivmerkmalen

„Es gibt nur eine menschliche Gattung. Wie groß auch die Unterschiede der Rassen, Stämme, Völker und Persönlichkeiten sein mögen: in physischer Beziehung ist die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Mensch größer als die zwischen dem Menschen und irgendeiner Tiergattung.

(GA 4, Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung, Berlin 1904, S. 70-71)

Quelle: www.dreigliederung.de/essays/2003-07-003.html

Diese Steiner-Worte erscheinen mir überaus zitierwürdig - und wenn es von ihm gegenläufige Worte gibt, so wäre der sich daraus ergebende Widerspruch kritisch gegen ihn aufzuarbeiten. Was mir  hingegen bislang an problematischen Zitaten mitgeteilt wurde, weist zwar begriffliche Gemeinsamkeiten  mit dem NS-Sprachgebrauch auf, aber das ist dann Schicksal sehr vieler, denn der NS nahm nicht nur keine Rücksicht auf entgegenstehende ältere Begriffsverständnisse, sondern nutzte um, so viel er konnte - und bewirkte damit Begriffsfakten, an denen allerdings heute auch wieder niemand vorbei kann, der sich bedeutungsgewandelter Begriffe aus Lehren bedient, die vor dem NS entstanden. 

Insoweit scheint mir ein Großteil des Steiner-Streits ein "Kontext-Missverständnis" zu sein, auf den die Vertreter der Steiner-Pädagogik jedoch trotzdem verantwortlich zu reagieren haben, was sie nach meinem Geschmack auf den Waldorf-Webs zu wenig leisten, obwohl es nicht schwer fallen sollte. 

Zusätzlich erschwert wird die Debatte sodann noch durch den Grundsatz-Streit um die Privatschulen an sich und Spezifika der Waldorf-Pädagogik im Besonderen. In Verteidigung der umstrittenen Daseinsberechtigung der Waldorfschulen wirken deren Verlautbarungen mitunter sektenhaft und befördern in Folge davon gegenseitiges Misstrauen zwischen diesem Schulträger und der Öffentlichkeit. Immerhin geht es um viele Lehrer-Existenzen, auch um viele Selbstverständnisse (von Eltern und ehemaligen Schülern), die keinen Schaden nehmen wollen. Das ist nachvollziehbar, gleichwohl auch Bedenken bedingend, so dass eine faire Positionierung zum Streit um die Waldorfschulen zumindest mir unmöglich ist, denn es kann nicht um die Frage gehen, ob ich mein Kind dort untergebracht hätte (=habe ich nicht), sondern ob die Waldorfschulen ein zeitgemäßes, zulässiges und (staatlich) förderungswürdiges Angebot zur pluralistischen Bildung darstellen oder nicht. 

Sven200508          >> Thema ERGÄNZEN

  
1913 Gründung Anthroposophische Gesellschaft
1919 Gründung der ersten Waldorfschule (in Stuttgart)

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