Todesanschauungen
Lieber Mjike,
letztes Wochenende kam ich nicht zum
Philosophieren über den Tod, weil mal wieder reichlich unphilosophischer Mord
und Totschlag den öffentlichen Diskurs in Atem hielt, Nizza und Militärputsch
in der Türkei, wie auch jetzt mit dem Massaker in München.
Es ist schade, dass Nachdenken über Prinzipielles und Weltanschauliches dann
auf der Strecke bleibt, weil das Leben oft zu kurzatmig und eben auch endlich
ist.
Und schon sind wir drin auch im Thema von den Tod betreffenden
Vorstellungen.
Immerhin stimmen Religiöse und Atheisten überein, dass solange Menscheit
existiert und nicht restlos den Verstand verliert, auch der Toten gedenkt,
mitunter nur den Angehörigen oder abstrakt z.B. "Dem Unbekannten
Soldaten".
Mitunter wird auch sehr weitgehend auf einzelne Personen reduziert über ganze
Geschichtsepochen erinnert, wenn deren Gedanken, Wohltaten oder Verbrechen - aus
welchen Motiven auch immer - zitiert, verächtet, geehrt oder instrumentalisiert
werden, zuweilen auch tiefe Spuren im Materiellen hinterlassend, insofern
"den Tod überlebten".
Das wären einige Aspekt gemeinsamer Betrachtung von Mensch und Tod, also der
Fußabdruck und die
"buchstäbliche Erinnerung".
Der Scheideweg zu relgiösen Auffassungen hat
seinen Startpunkt darin, dass ich meine Subjektfähigkeit durch Tod vollständig
verloren sehe, mitunter vielleicht sogar vorher, wie bei Koma-Patienten
diskutiert.
Meine atheistische Anschauung zum Tod besagt: Der Tote schaut nichts mehr. - Allenfalls wird er noch beschaut.
Wenn du von Erlöschen und Auslöschen sprichst, so wäre mir es mit Grauzonen
terminologisch gegensätzlich konnektiert:
"Erlöschen" wäre für Fälle mehr oder minder einvernehmlicher
Lebensmüdigkeit, z.B. gedacht als "Es soll mir genug gewesen sein."
"Auslöschen" wäre für Fälle von Katastrophen, Mord. ungewollten
Sterbens schlechthin.
Aber dass in beiden Extremalternativen die Kerze vorher immerhin irgendwie
gebrannt hat, wäre aus meiner Atheistenperspektive
"unauslöschlich",
auch wenn ich postmortem nüscht mehr erinnern werde, weil mein Kerzli nicht
mehr brennt, aber das könnte mir nicht wirklich ungewohnt sein, denn schon
immer bekomme ich nur wenig, wenig mit - und postmortem eben gar nichts mehr.
"Religiöse Tote leben länger", sei es als Geist, sei es mit oder
ohne Wartezustand für Wiedergeburt, nächstes Leben oder ewiges Leben, sei es
zur Strafe ewiger Qualen oder ewiger Tod.
Nun, wer erscheint besser dran? Religiöser oder Atheist?
Da die Religionen zumindest den eigenen Anhängern reichlich Nadelöhr in
heileres Nachleben verheißen, sehen sich Religiöse vielfach im Hier und Jetzt
von Teufeln und Versuchungen umgeben oder gar in Höllen.
Sogar in politischen "Gottesstaaten" herrscht nicht bloß
Glückseligkeit, ansonsten käme man wenigstens dort ohne Schutzmaßnahmen aus,
wie sie gegen gierige Blicke, Aufbegehrlichkeiten und üble Einflüsse der
übrigen Welt verordnet werden.
Es kann dann eigentlich nur besser werden, wenn endlich Schluss mit dem
irdischen Leben ist. Glücklicherweise ziehen aber nicht alle Religiösen solch'
radikale Konsequenz, leben gern möglichst lange und möglichst gut.
Etwas Gottesfurcht und hinreichend Riten können nicht schaden, um sich Geister,
Götter oder Gott gnädig zu stimmen.
Ist das "besser dran"?
Hmm, da traue ich meinen Eindrücken von enthusiastisch Gläubigen zwar eher als
das Männchen seiner Gottesanbeterin trauen dürfte, aber weiß ja aus eigener
Erziehung, dass Glaubensbekenntnisse zwecks Wahrung von Aufrichtigkeit zur
Verklärung neigen und dann eben doch die Antwort meidend aussteigen: "Das
bleibt ein großes Geheimnis und wird uns vielleicht erst im Jüngsten Gericht
gelüftet."
Demzufolge wäre es mit glücklich machender Glaubensgewissheit nicht sehr weit
her, aber mitunter greift zum Grashalm, wer sich ertrinken sieht.
Demzufolge kann ich mich atheistisch betrachtet kaum schlechter gestellt sehen,
denn der Grashalm vermag vielleicht Grashüpfer retten, mich aber nicht.
Meine atheistische Sichtweise auf Lebeb und Tod lautet folglich: Ich fürchte
mich vor vielem, auch vor dem Sterben, wenn es schmerzlich werden sollte,
ich sorge mich um vieles auch über meinen Tod hinaus, aber dann nicht mehr mich
betreffend, denn ich fürchte mich nicht vor dem Nichts.
So, für den Moment puste ich mein philosophisches Kerzli mal aus. Und zünde
es, sofern mich das Schicksal lässt, bei Gelegenheit wieder an.
Markus S. Rabanus 20160723
Mjke hatte geschrieben:
Der atheistisch gedachte Tod kann weder Ruhe noch Entspannung sein, da mit der Sterblichkeit der Seele, oder moderner gesprochen: des Bewusstseins, noch jede Qualität, auch die vermeintlich neutralste, erloschen sein muss. Dieser Tod wäre daher reine Auslöschung: Es würde sein, als wäre man nie gewesen. Und nichts außerdem.