"NACHTRAG" v. 23.1.2010
ich will nicht so nachtragend sein, wie es eine alte Kritik bewirkt, wenn man sie aus zeitdokumentativen Gründen nicht löscht. 

Heute erklärte Lafontaine wegen einer Krebserkrankung seinen Rücktritt von der Funktion des Parteivorsitzenden der Linkspartei. 
Einmal mehr brachte er vieles zur Sprache, was andere nicht können, nicht wollen. 

Die nachstehende Kritik ist also durch Zeitgeistigkeit kaum wichtig:

Lafontaine, der Partei-Putschist  2003   

Meiner Kritik an Oskar Lafontaine schicke ich voraus, dass mir seine "konkreten Inhalte" unwichtig scheinen, denn er ist mir politisch und menschlich gleichermaßen unglaubwürdig. 

Und das ist schade, denn er macht sich mehr Gedanken als viele andere und gelangte  zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik zu vielen klugen Ideen, aber letztlich scheint Lafontaines Moral zu sehr durch die Machtgier geprägt, um a) auf Populismus zu verzichten, b) frei von Affären zu sein, c) die eigenen Grenzen zu erkennen.

Ich erinnere mich noch zu gut daran, wie Lafontaine am 16. November 1995 entgegen allen vorherigen Beteuerungen Scharping von der Parteispitze wegfegte, als sich ihm die dazu Gelegenheit bot. 
Und genau besehen hätte Lafontaine es ohne das Überraschungsmoment wohl auch gar nicht geschafft, denn schon damals stand sein Konkurrent um die höchste Macht in der SPD in den Startlöchern:
Gerhard Schröder.

Lafontaine spielte Landesfürst, ließ den Bundestag Bundestag sein, ließ dort Scharping ackern und duellierte sich hin und wieder mit dem Niedersachsen Schröder. 

Als sich die Kohl-Ära verschliss, hatte Lafontaine im Vergleich zu Schröder die schlechteren Karten, weil dieser großmundig die Kanzler-Kandidatur wegen hoch gewonnener Landtagswahlen für sich beanspruchte. Widerwillig folgte die SPD-Basis dem "Genossen der Bosse", der im Oktober 1998 auch tatsächlich mit den Grünen gegen Kohl gewann. Rot-Grün war vom Erfolg über den inzwischen selbstbewusst gewordenen Kohl offenbar so überrascht, dass die Koalition nahezu chaotisch ihr Programm ausarbeitete.

Lafontaine war zwar noch immer SPD-Parteivorsitzender, so doch in der zweiten Reihe hinter Schröder und wurde Bundesfinanzminister. Er schien immer neidisch um die Macht, dann noch scheiternd mit Versuchen, die Bundesbank gefügig zu machen - und verschwand am 11. März 1999 von der politischen Bühne. Niemand wusste, was mit Lafontaine los war. Dann wurde dem Fernseh-Volk über Grundstückszäune hinweg gefilmt, wie Oskar Lafontaine im späten Vaterglück ein Kind auf dem Balkon seines Hauses umhertrug. Es dauerte noch ein paar Tage, dann erklärte Lafontaine halb gebrochen und doch schon wieder kess, dass er sich von Schröder & Co. verraten fühle und daraus die Konsequenzen gezogen habe.

Still wurde es um ihn. Die Partei war sauer und die Bürger auch, dass da einfach einer geht, als sei Regieren ein Sandkastenspiel. 

Oskar Lafontaine liebt es, seine politischen Funktionen mit denen von Wirtschaftsbossen zu vergleichen. Deshalb trauert er auch nicht über Diäten-Erhöhungen, trauert nicht über die Minister-Pensionen - davon kann man nie genug haben, denn Geld ist flüssig und nicht nur in Staatshaushalten. 

Oskar Lafontaine liebt es zugleich, die Wirtschaftsbosse zu schelten, denn er sucht seine Wähler-Klientel bei denen, die es "nicht so dicke haben wie die Bosse", aber auch er selbst. Und wie seine Kritik an Bossen und Konzernen mit seinem eigenen Verhalten zu vereinbaren ist, mit seinem Ausstieg ins Private aus einer der höchsten Staatsfunktionen,  da sieht er keinen Widerspruch.  Nur schlechte Kapitäne gehen so von Bord. Aber wie gesagt, das war nur die Krönung all dessen, was ich ihm an politischer Verkorkstheit vorwerfe.

Sicherlich, Scharping war keine Leuchte, die Wirtschaftsbosse auch nicht und mit Schröder wächst die Unzufriedenheit zurecht. Aber einen politisch aktiven Lafontaine braucht es in dieser Republik nicht noch einmal. 
Er soll seine Renten genießen und nicht heutigen Wählern versprechen, was er mit seiner "Agenda" nicht bezahlen kann, denn der Dreh- und Angelpunkt aller Politik ist mehr Beschäftigung, aber keine, die aus "Konjunkturprogrammen" = Steuern und Sozialbeiträgen bezahlt wird, sondern Steuern und Sozialbeiträge erwirtschaften - und das kann nur gelingen, wenn Wirtschaft und Arbeitnehmer motiviert werden, die Arbeit besser zu verteilen.
Doch da traut sich Lafontaine nicht ran, weil nun auch schon die Gewerkschaftsbosse aus Sorge um sinkende Beitragszahlungen u.a. die Streichung von Feiertagen fordern.

Lafontaine soll schweigen. Er konnte nie ökonomisch rechnen und sollte sich weder mit Arbeitnehmern noch mit Unternehmern vergleichen. 

In Summe seiner Qualitäten und Fehler sehe ich ihn nicht sonderlich verschieden von seinen Konkurrenten, denn allen scheint die Macht wichtiger als das allgemeine Wohl. Einzig in Friedensfragen hat Lafontaine etwas voraus, aber sein spezifischer Malus in diesem Vergleich ist sein pseudo-sozialer Populismus - und davon brauchen wir nicht, sondern Initiative, ansonsten bleibt auch nichts mehr für das Soziale.

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