Parallelgesellschaften?
BeitragVerfasst von Sven am: 27.11.2005, 00:05 Antworten mit Zitat 

 
Thomas hat Folgendes geschrieben:
Du siehst die Realität vor Deiner Nase aber leugnest sie.

Thomas, nicht immer gleich von Realitätsleugnung sprechen, wenn jemand eine Realität in andere Richtung kritisiert, als es dir recht ist. Ansonsten leugnest du seine seine Kritik:-)

Thomas hat Folgendes geschrieben:
Kein herrschender Politiker in Europa will Parallelgesellschaften, ...

Das ist sicherlich gutgemeint, aber bist du dir der Tragweite deiner Aussage bewusst?

Ich wuchs in einer Gesellschaft auf, von deren Eliten und "Eliten" wichtige Leute recht streng darauf bedacht waren, dass bestehende Parallelgesellschaften von Bestand bleiben. Solch Interesse orientiert sich nicht annähernd so sehr an geographischen Ursprüngen wie an den ökonomischen Kennziffern.

So stellt sich mir der Begriff "Parallelgesellschaft" immer wieder in Frage, denn er scheint "zu leugnen", dass es um (ökonomisch) Vertikales geht, wahrscheinlicher um "Schichten", von denen sich die oberen möglicherweise gegen untere Schichten abschotten möchten, auch um sie nach oberen Maßstäben zu regieren. Das hat sein Gutes, aber nicht nur.

Wäre solch sozialer Fallschutz Vergangenheit, so wäre z.B. ein George W. Bush längst durch manche Raster in ärmere Parallelgesellschaften tiefere Schichten gerutscht - und würde vielleicht Autos mit Streichhölzern abfackeln. Anstatt Großstädte mit Cruise Missiles erleuchten.

Thomas hat Folgendes geschrieben:
Parallelgesellschaften ... sind TROTZDEM entstanden!

Nein, denn selbst dann, wenn ich diesen Begriff mitquake, weil er manchmal ein bisschen taugt, so sind sie gewiss nicht erst in deiner Generation "entstanden".

Und wenn manche Leute sich eine bessere Welt davon versprechen, dass sie zwischen die "Parallelgesellschaften" Staatsgrenzen stellen,
dann würden nicht nur Autos brennen, denn wie wir wissen: Was sich aus Aversion gegeneinander abschottet, das fällt auch ganz gern übereinander her.

Thomas hat Folgendes geschrieben:
Jede noch so gut gemeinte Utopie scheitert an der gegebenen Realität.

Ich freue mich, dass du immerhin den guten Willen erkennst, denn das ist wichtig für Ziviles, während der böse Wille Teil des Kriminellen ist.

Nun ziehe daraus noch den richtigen Schluss, dass dem guten Willen auch das Denken und die Taten folgen müssen, wenn die Realität nicht nur "gegeben" sein soll, sondern gestaltet.

Du jedoch schriebst von "gegebener Realität". Das macht bis zu einem gewissen Alter noch Sinn, aber sobald sich die Sinne über die grundlegendsten Bedürfnisse hinaus emanzipieren, sollte es anders werden: Und es beginnt das Gestalten.

Thomas hat Folgendes geschrieben:
Es sind auch nicht die arbeitenden Bürger in Frankreich Schuld, wenn sich die Einwanderer durch ihre stetig steigende Anzahl selbst die billigen Arbeitsplätze wegnehmen, die sie vorher den französischen Arbeitern streitig gemacht haben. In der freien Marktwirtschaft hat jeder die gleichen Chancen.

Die erste Doppelansage widerspricht deiner Mutmaßung im zweiten Satz. Merkst du das nicht?

Ich halte sogar alle drei Ansagen für falsch. Ausgehend von der dritten Ansage entgegne ich: In der Realität sind die Chancen ungleich verteilt. Genau deshalb braucht es das gesetzliche Chancengleichheitsgebot, aber die stellt sie nicht her, sondern schafft allenfalls (immerhin) bessere Voraussetzungen für das Ringen um die Chancengleichheit.

Thomas hat Folgendes geschrieben:
Man muss nur wollen, wie es so schön heißt. Und wenn ich Kindergärten und Autos anzünde, grenze ich mich selber aus.

Solche Leute sind meist schon "ausgegrenzt" und können sich daher nicht "selbst ausgrenzen", wie es die bequeme Wahrnehmung derer ist, die unter Ausgrenzung weniger oder gar nicht leiden.

Verdrehe dir nicht unnötig deinen Verstand, indem du die Kriminalität zur Ursache der Ausgrenzung machst, wenn es doch eher umgekehrt ist, denn eigentlich wirst du denken: "Die sollen froh sein, dass sie nicht in Afrika leben, wenngleich in schlechteren Quartieren von Frankreich. Aber ihre Situation verbessert sich nicht, wenn sie sich nun gegenseitig die Autos anzünden."

Ja, so geht es einem durch den Kopf. Und manches stimmt daran. Aber zu wenig, denn diese Jugendlichen sind meist schon in Frankreich geboren und auch für ihre Eltern fragt sich, warum sie kein Recht haben sollten, aus Algerien und anderswo zu kommen, aus denen Frankreich einen Teil seines Reichtum abholte und holt.

Wer solche Migration nicht will, der müsste in aller Welt verkünden: "Wir sind ein mieses Land!" - Statt Stolz und Geprotze wäre Scham und Bescheidenheit angesagt. Aber das fällt ja nicht nur Nazis schwer. Und bescheidenes Leben noch mehr.

Fakt ist dir wie mir: "Die Unterprivilegierten wurden nun kriminell."

Daraus kann nur die Anstrengung folgen, dass man etwas für die Chancengleichheit tut. In Frankreich, in Europa, weltweit. Das ist ein schwieriges Ding. Aber absolut alternativlos, wenn man kein Politkrimineller sein will, denn so oft sich der Mensch seine Ansprüche als Einbahnstraße vorstellt, so sind sie nur gerecht auf Gegenseitigkeit.

Thomas hat Folgendes geschrieben:
Stell Dir vor, Skinheads hätten das getan. Wärst du dann derselben Meinung? Sei ehrlich!

Ehrlich wollen wir in diesem Forum immer sein. Also unterstütze ich deinen Appell, aber der gilt auch dir, falls deine Frage suggeriert, als würden uns gegen rechtsextremistische Gewalttäter andere Maßstäbe gelten.

Genauer hingeschaut kannst du Doppelmoral in Bezug auf ein Delikt immer nur bei solchen Leuten finden, die sich etwas davon versprechen, dass sie sich an die Wäsche gehen. Aber wir wollen denen hier in die Köpfe.

Thomas hat Folgendes geschrieben:
Du brauchst hier nicht mit Sextourismus in Thailand anzufangen, denn keiner hat geleugnet, daß es so etwas gibt. Der Mensch ist das einzigste Tier, daß seine Instinkte verlieren kann.

Du glaubst an seltsame Dinge, wenn du ausgerechnet den Sextourismus von den Instinkten ausnehmen möchtest.

Sextourismus könnten wir mal gesondert diskutieren, denn das Thema ist gar nicht so unwichtig oder uninteressant simpel. Hier nur soviel, dass er mir eher gegen die Sitten als gegen Instinkte verstößt. Wobei die Sitten höher sein sollten als die Instinkte.

Und weißt du tatsächlich so viel von den Tieren, dass du solche Unterscheidung vornahmst?

Nun müsstest du mir zwar in allem zustimmen, denn so schön erklärte dir sicher noch niemand, aber wahrscheinlich bringst du es nur bis zur nächsten Trotzreaktion. - Dann jedoch denke an die brennenden Autos von Paris.

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